Was passiert auf der Welt, wenn eine Jazz-Sängerin wie Shirley Horn beschließt, einem der unantastbaren Ikonen des Jazz, Miles Davis, ein Album zu widmen? Im Jahr 1998, mitten im Wirbel der aufkeimenden digitalen Revolution, kam Shirley Horn, die respektierte Jazzpianistin und Sängerin aus Washington, D.C., mit ihrem Album 'Ich erinnere mich an Miles' auf den Markt. In einer Zeit, in der alles laut und schnell sein musste, entschied sie sich, dem König des Cool Jazz ein stilles und zugleich starkes Denkmal zu setzen. Dabei nahm sie die Musik von Miles Davis auf eine Art und Weise, die seine einzigartige Virtuosität bewahrte und gleichzeitig ihre interpretatorischen Fähigkeiten in den Mittelpunkt rückte.
Das Album entstand aus ihrer tiefen persönlichen Verbindung zu Davis, mit dem sie einst persönlich und künstlerisch verbunden war. Es ist kein Geheimnis, dass sich die beiden auf Augenhöhe begegneten. Davis selbst hatte Horns musikalisches Talent und ihr unvergleichbares Pianospiel zutiefst bewundert. Was Horn hier tut, ist schlichtweg herausragend: Sie bricht mit den traditionellen Jazz-Konventionen, indem sie sich auf die leisen, intimen Momente konzentriert. Mit Sanftmut und Präzision holt sie die emotionalen Tiefen einer ikonischen Jazzfigur an die Oberfläche.
Die Auswahl der Stücke ist ein Hochgenuss an Erinnerungen. Klassiker wie 'My Funny Valentine' und 'You Won't Forget Me' werden durch Horns unverwechselbare Stimme zu einem neuen Leben erweckt. Während viele heute versuchen, im Namen des Jazz neue und oft nichtssagende Wege zu beschreiten, bleibt Horn dem groovigen Grundgerüst treu, das Miles Davis seinerzeit geschaffen hat. Dabei verliert sie sich nicht in technischer Perfektion um ihrer selbst willen, sondern zeigt, dass wahres musikalisches Können auch in der Fähigkeit besteht, Pause und Stille zum integralen Bestandteil der Kunst zu machen.
In einem von schrillen und zum Teil oberflächlichen Kulturdiskussionen geprägten Umfeld, bahnt sich Horn mit puristischer Ehrfurcht ihren eigenen Weg. Sie nimmt nicht die Abkürzung über reißerische Showeinlagen, sondern zeigt, dass Subtilität die eigentliche Stärke ist. Das passt natürlich nicht jedem in den Kram, schon gar nicht in einer Welt, in der Lautstärke oft als Stärke missverstanden wird. 'Ich erinnere mich an Miles' ist kein Album für diejenigen, die Jazz als bloßes Hintergrundrauschen betrachten oder als nette Begleitmusik für einen Cocktailabend. Es ist ein Erlebnis, das Konzentration erfordert und belohnt.
Der Konservatismus von Horn wird durch ihre Hingabe an die Tradition unterstrichen. Sie zeigt, dass der Versuch, von bewährten Wegen abzuweichen, nicht immer der richtige ist, und dass Rückbesinnung auf das Original nicht nur erlaubt, sondern notwendig ist, um das wahre Potenzial zu entfalten. Miles Davis war zu Lebzeiten ein Revolutionär und Innovator. Horn zollt dem Tribut, nicht indem sie revolutioniert, sondern indem sie die Essenz seiner Innovation einfängt und offenbart.
Es könnte einige Liberale erschüttern, wie Horn mit 'Ich erinnere mich an Miles' die Komplexität von Davis’ Werken in schlichte Brillanz verwandelt. Während Experimente mit Jazz oft als mutige Fortschritte gepriesen werden, zeigt Horn geduldig und mit unvergleichbarem Geschick, dass das bewusste Innehalten und die detaillierte Betrachtung der bestehenden Genialität manchmal die wahre mutige Entscheidung ist.
Auch musikalisch zeigt Horn hier, dass gemäßigte Nuancierungen viel mächtiger sind als gewaltige Crescendos. Denn wahre Qualität zeigt sich erst, wenn man ruhig und unaufgeregt zu Werke geht – ein Prinzip, das in der aktuellen schnelllebigen Gesellschaft leider oft vernachlässigt wird.
Es bleibt festzuhalten, dass Shirley Horn mit 'Ich erinnere mich an Miles' ein Meisterwerk der Erinnerung schafft, das Davis’ Einfluss auf die Jazzwelt neu unterstreicht. Mit diesem Album gelingt es ihr, eine ehrfurchtsvolle Balance zwischen Ehrung und Eigenständigkeit herzustellen, die sowohl Davis als auch Horn selbst würdig ist. Kein Schnickschnack, keine übertriebenen Experimente, sondern pure musikalische Integrität – und genau das kann in Zeiten des unstillbaren Drangs nach Neuheit fast schon revolutionär wirken.