Wer behauptet, dass Filme aus längst vergangenen Tagen keine Relevanz mehr haben, hat wohl noch nie von "Westfront 1918" gehört. Dieser cineastische Diamant von 1930, clever inszeniert von G.W. Pabst, hebt sich durch seinen schonungslosen Realismus von den herkömmlichen Kriegsdramen der Weimarer Republik ab. Im Herzstück der Handlung stehen vier deutsche Soldaten im Stellungskrieg während des Ersten Weltkriegs an der Westfront – mitten im grausamen Schützengraben-Chaos. Es ist ein mitreißender Blick auf das verheerende Leben an der Front, statuiert von der unbarmherzigen Kraft des Krieges und der menschlichen Natur.
Nun mag so mancher empfinden, dass man mit "homerun" durch die 20er- und 30er-Jahre sprintet, aber meine lieben Leser, dies ist nicht irgendeine Kriegserzählung der Vorkriegszeit. Die heutige Darstellung von Konflikten neigt dazu, alles politisch korrekt und in einem weichgespülten Licht darzustellen, was "Westfront 1918" entschieden vermeidet. Dies ist ein Film, der sein Publikum nicht mit einem beruhigenden Schauplatz konfrontiert, sondern die Zuschauer förmlich in den Schlamm, die Granaten und die Schreie der Soldaten schleudert.
Historische Genauigkeit und schonungslose Ehrlichkeit sind die herausragendsten Merkmale von "Westfront 1918". Die Darstellung der Schlachten und der Frustrationen der Soldaten ist unerbittlich realistisch. Die Spectator-erprobte "Dolchstoßlegende" wird in diesem Kontext entlarvt: Wie könnte man besser verstehen, dass die Zersplitterung und die innere Schwäche einer Nation den finalen Niedergang einläutete, als durch den bloßen Augenschein eines zerbrochenen Schlachtfeldes? G.W. Pabst erzeugt ein Bild, das mit heutigen, meist weichgezeichneten Darstellungen nichts gemein hat. Er gibt dem Publikum einen unverblümten Einblick in die Tragödien eines Krieges, die so manch heutiger Kommentator lieber verschleiern möchte.
Warum ist dieser Film heute noch aktuell? Die modernistische und pazifistische Botschaft dieses Films wirkt in einer Welt, die sich ständig im Kampf selbst zu übertreffen scheint, so relevant wie eh und je. Das zeitgenössische Publikum mag sich fragen, warum diese Darstellung der Realität vor fast 100 Jahren noch eine solche Sogkraft besitzt. Die Antwort liegt auf der Hand: Weil es nicht darum geht, die Kriegsgeschichte zu vernebeln, sondern die brutale Wahrheit dieser schicksalhaften Ereignisse zu zeigen. Damals wie heute verändert Authentizität Meinungen und fordert heraus.
Der Film wurde gedreht in den Babelsberg Studios bei Berlin, zu einer Zeit, als man noch lokales Handwerk und rohe Kreativität an erster Stelle schätzte. "Westfront 1918" zog die Massen an und zeigte die Faszination des Films als Medium, Diskussionen über Krieg und Frieden zu beginnen. Bei vielen zeitgenössischen Darstellungen wird der Drang ersichtlich, den Zuschauer zu beruhigen und mit Heldenkitsch zu blenden. Dagegen stellt "Westfront 1918" einen wohltuenden Stachel heraus: die erbarmungslose Realität des Krieges ohne politische Agenda.
Man stelle sich nun vor, ein Filmemacher wagt es, die gleiche kompromisslose Realität im heutigen Kontext zu präsentieren. In einer Zeit, in der vielerorts verklärte Vorstellungen die Geschichtsschreibung unterwandern und die Macht der Kamera missbrauchen, kann "Westfront 1918" als Paradebeispiel dienen. Es pflügt durch die moralischen Grauzonen von Heldentum versus Nihilismus und wirft Fragen auf, die unbequem und doch dringend notwendig sind.
Der Einsatz von neuen filmischen Techniken und Geräuschen war für seine Zeit revolutionär. Pabst spielte wunderschön mit der Ästhetik des Tonfilms, was den Horror und die isolierenden Töne des Krieges verdeutlichte. Stimmen, tonlos verzweifelt, verlieren sich in den Donnerschlägen des Krieges – eine Darstellung der Ohnmacht, die bei liberalen Geschichtsdeutern noch heute für Stirnrunzeln sorgen dürfte.
Also, warum "Westfront 1918"? Weil in einer Epoche, in der wir vermeintlich alles gesehen haben, dieser Film Erinnerungen wachrüttelt und den Diskurs entfacht, wie Krieg wirklich aussieht. Es ist ein unumgänglicher Kommentar über Menschlichkeit und Brutalität, ein filmisches Denkmal, das nicht verblasst. Und das alles ohne die bequeme Distanz politischer Korrektheit und sozialer Filterblasen – ein wahres Zeitzeugnis für all jene, die den Mut haben, wahre Geschichte zu erfahren.