Warum „Vielleicht morgen“ nicht auf dich wartet

Warum „Vielleicht morgen“ nicht auf dich wartet

Guillaume Mussos „Vielleicht morgen“ bringt Schicksal und Technik in New York zusammen, eine Rezeptur, die emotional durchrüttelt – für die, die mutig genug sind.

Vince Vanguard

Vince Vanguard

Wer hätte gedacht, dass ein Liebesroman plötzlich zum Elefanten im Raum der modernen Literatur wird? Guillaume Musso, der französische Autor, segnet uns mit „Vielleicht morgen“ – einem Roman, der 2013 erschien, Leser weltweit begeistert und dazu bringt, über Schicksal und Zufall nachzudenken. In der Metropole New York treffen zwei unterschiedliche Menschen, die eigentlich nicht miteinander verbunden sein sollten, aufeinander: Matthew Shapiro, ein heruntergekommener Professor, der nach dem Tod seiner Frau mit dem Leben hadert, und Emma, eine ehrgeizige Geschäftsfrau, die ans Enden nicht denkt, und wie das Schicksal es will, beide durch die mysteriöse Kommunikation zweier Laptops verbunden werden.

Nun, warum schlägt ein scheinbarer Liebesroman so hohe Wellen? Vielleicht liegt es daran, dass Musso es versteht, Klischees zu vermeiden, in denen allzu viele Autoren ins Stolpern geraten. Was er präsentiert ist kein saftiges, von Emotionen triefendes Epos, sondern eine intelligente Verkettung von Ereignissen, die immer weiter enträtselt werden wollen. Vor unserem inneren Auge entfaltet sich ein Weg, der nicht einmal zwei Orte braucht, um Spannungen bis ins Unerträgliche zu steigern – New York City genügt völlig.

Viele Werke heutzutage sind wie ein Einheitsbrei für die sensible Masse, die sich in ihren Safe Spaces versteckt und wenn möglich jeden aufregenden Stoß von Gefühlen und Gedanken vermeidet. Musso hingegen bringt Nervenkitzel, Vergnügen und ein intellektuelles Spiel hinein, das dir verspricht, die Buchdeckel nicht mehr zuklappen zu können. Unter anderem, weil so viele unerwartete Wendungen auftauchen und du quasi zum Mitraten gezwungen wirst.

Auch die Thematik des Buches sollte den Leser eigentlich dazu anregen, seine Komfortzone zu verlassen – wenn man sich denn wagt. Musso zeigt uns, dass wir die Verbindungen, die unsere Existenz grundlegend miteinander verwoben hat, nicht nur im wörtlichen Sinne durch Kabelknäuel übersehen sollten. Vielmehr geht es um das Zusammenspiel von Zufall und Bestimmung. Ist es nicht schön zu wissen, dass es manchmal nur ein paar elektrische Impulse braucht, um dieser ewigen Frage ein Gesicht zu geben?

Einige mögen sagen, dass „Vielleicht morgen“ ein regelrechtes Loblied auf das Nomadenhafte und den digitalen Austausch ist. Kein Wunder, dass bestimmte kritischere Geister dies als idealisierten modernen Mythos bezeichnen, der die Echtheit von Menschlichkeit mit vollgestopfter Über- oder Unterbeschäftigung ersetzt. Dabei liefert Musso doch eine simple Botschaft, die vielfach übersehen wird: Kommunikation ist nicht nur ein Werkzeug, sondern der Schlüssel zum Erleben und Verändern. Ein Schema, das gerade in unserer Welt voller Missverständnisse besonderen Bedarf an Zuwendung hat.

„Vielleicht morgen“ schafft es, Realismus in ein Umfeld zu bringen, das vor Dissonanzen nur so vibriert. Dieses Spiel zwischen Fiktion und Realität erfordert Mut, was es wiederum so wertvoll macht. Könnte jemand diese Ebene der Fantasie in einer Zeit gezogen haben, die zu verlieren droht, was wahrhaftig zählt? Das ist der Kern.

Ein weiser Mensch sähe durchaus, dass es wenig bringt, diesen Roman in der Spalte bloßer Unterhaltungen zu würdigen. Wieder einmal zeigt sich, dass das dichte literarische Gewebe durchaus Platz für ernsthaftes Reflektieren lässt. Mit seinen rund 400 Seiten packt Musso das Überraschende in ein potenzielles Drama - ein Drama, von dem wir alle noch etwas lernen können, wenn die Gespenster der heutigen und damit verknüpften Probleme ausgeschaltet werden können. Vielleicht ist das auch der Grund, warum manch einer einfach nicht mit ihm umgehen kann.

Vielleicht liegt der Reiz eines Buches wie diesem darin, dass es uns vor allem in Unruhe versetzt, eine Unruhe, die doch jeder einmal braucht. Nehmen wir es als Ansporn, über Zufallsergebnissen nachzudenken und sich die Frage zu stellen, was passiert, wenn diese wie von Zauberhand geschmückt werden. Es ist nicht weniger als eine Einladung an den Denker, den Romantiker oder den fantasievollen Leser, der diese Welt nicht einfach so belässt, wie sie ist.

Im Endeffekt bleibt zu sagen, dass das Werk sicherlich viele verschreckt, die eine zu wohlige Komfortzone als festen Wohnsitz beschlagnahmen. Doch für den Rest, der mutig genug ist, den gedanklichen Sprung zu wagen, bietet sich ein Lesegenuss, den man nur bei genauem Hinsehen erkennt.