Staunen ist wie der unerwartete Gast, der in deinen Garten schneit und deine langweilige Party mit einem Feuerwerk entfesselt. Wer? Jeder Mensch hat die Fähigkeit zu staunen. Was? Diese Emotion ist das Gefühl von ehrfürchtigem Erstaunen, das man empfindet, wenn man das Besondere im Alltäglichen erkennt. Es ist ein Kind, das zum ersten Mal Schnee sieht. Wann? Immer dann, wenn wir uns erlauben, die Welt mit frischen Augen zu sehen. Wo? Überall – in der Architektur alter Gebäude, der Symmetrie einer Blume oder dem Lächeln eines Babys. Warum? Weil Staunen uns daran erinnert, dass das Leben mehr ist als nur Routinen und To-Do-Listen. Es reiht sich nicht als oberflächlicher Zeitvertreib ein, sondern schafft eine tiefere Verbindung zur Welt.
Doch in unserer von Multitasking besessenen Gesellschaft wird Staunen oft ignoriert. Unser hektisches und herzlich unnatürliches Leben gibt uns kaum Gelegenheit, innezuhalten. Die fortschrittlichen Eliten mit ihren ständigen Appellen zum Fortschritt übersehen, dass die Seele mit Staunen genährt wird. Im Technologie-Wahn verpassen wir jene Momente der Stille, in denen althergebrachte Weisheiten wieder Gehör finden könnten.
Mit Staunen verhält es sich ein wenig wie mit Musik: Es ist universell, dennoch versteht es der moderne Mensch oft nicht mehr. Natürlich gehört es nicht nur Kindern, auch wenn sie es verkörpern. Staunen ist eine Emotion, die alle eint - von der gestressten Hausfrau bis zum assoziativen Denker, der verlernt hat, innezuhalten und einfach zu fühlen.
Einer der faszinierendsten Aspekte des Staunens ist, wie es uns auf befreiende Weise von gängigen Annahmen entkoppelt. Der Fortschritt ist wichtig, aber ohne die Fähigkeit, beeindruckt zu sein, verlernen wir die Grundlage für Innovation. Jenseits der nächtlichen Monologe über die ideale Gesellschaft - die meisten Liberalen verkennen die Kraft einer gesunden Dosis Staunen.
Betrachten wir ein Gebäude wie den Kölner Dom. Ein monumentaler Beweis dafür, dass Menschen, die lange vor unserer Zeit lebten, die grandiosen Ergebnisse von Anstrengung und Hingabe verstanden. Es verkörpert Jahrhunderte des Glaubens, nicht nur die sterile Berechnung nüchterner Funktionalität. Diese Bauwerke erwecken Staunen, indem sie uns an die Komplexität des Menschseins erinnern, jedoch steht zu befürchten, dass selbst diese Dimension des Staunens verloren gehen könnte.
Doch der moderne Mensch, stets darauf bedacht, den nächsten sozialen oder beruflichen Durchbruch zu erzielen, verschiebt das Staunen auf später. Wir lieben es, produktiv zu sein, haben jedoch vergessen, dass Produktivität ohne Staunen eine fade, leere Hülle ist. Es ist der Funke, der Kreativität freisetzt und dazu ermutigt, bekannte Grenzen zu überschreiten.
Erinnern wir uns, Staunen ist nicht unbedingt abhängig von äußeren Reizen. Natürlich, einige werden sagen, dass atemberaubende Szenarien mehr Staunen hervorrufen als alltägliche Dinge. Doch wie die französischen Schriftstellerin Anaïs Nin schrieb: "Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind. Wir sehen sie, wie wir sind." Das wahre Genie liegt in der Fähigkeit, überall und nirgends Staunen zu entdecken.
Könnte der Regen, der auf das Dach plätschert, nicht genauso staunenswert sein wie das beste Hollywood-Szenario? Staunen ist die Übung darin, die Seele zu bereichern und wieder zu realisieren, dass das große Ganze aus viel mehr besteht als nur aus iPhone-Releases und neoliberalen Thesen. In einer Welt, die unter der Last ihrer eigenen Ansprüche auf Perfektion zusammenbricht, können wir uns nicht leisten, auf das Staunen zu verzichten.