Rafael Karsten, ein Name, der in den liberalen Gefilden wohl das ein oder andere Stirnrunzeln hervorruft, war ein finnischer Anthropologe und Forscher, der im frühen 20. Jahrhundert den Mut hatte, die Welt durch eine nüchterne, unvoreingenommene Linse zu betrachten. Geboren 1879 in einem Landstrich, wo man noch die klare Luft Lapplands schnuppern konnte, verbrachte er sein Leben damit, indigene Kulturen in Südamerika zu studieren. Nicht weil er einfach nur interessiert war und schöne Fotos suchte, sondern weil er verstehen wollte, was die westliche Zivilisation längst eingebildet geglaubt zu wissen: Wie funktioniert die Menschheit?
Karsten reiste zu einer Zeit, als Ethnographie noch ein Abenteuer war und keine gezähmte akademische Disziplin. Wenn man über Karsten spricht, spricht man nicht nur über den Mann, der durch den Dschungel zog, um die Geheimnisse abgelegener Völker zu entdecken, sondern auch über jemanden, der die gängigen Annahmen unserer Gesellschaft ernsthaft hinterfragte. Seine Studien erstrecken sich über die verschiedenen Völker der Anden und der Llanos. Diese Arbeit, oft mit dem kritischen Blick des Außenseiters durchgeführt, lieferte Erkenntnisse, die so manchem modernen Soziologen den Magen umdrehen würden.
Unter seinen bedeutendsten Schriften finden sich Werke, die genau das beschreiben, was im Labor der Natur des Menschen vor sich geht. Seine Untersuchungen zu religiösen Ritualen, sozialen Strukturen und selbst den ureigenen Kriegspraktiken dieser Kulturen legen eine Wertschätzung für die nüchterne Wahrheit nahe, die uns im Westen häufig abhandenkommt. Die scheinbar primitive Form von Gesellschaft war für ihn eine Quelle von gelebtem Wissen, nicht etwa ein zu bekämpfender Aberglaube.
Natürlich sind Karstens Schrifterzeugnisse weit davon entfernt, eine politisch korrekte Kultur verherrlichende Hymne an die sogenannte Vielfalt zu singen. Nein, er verfolgte das klare Ziel, durch seine Arbeit nicht nur zuzusehen, sondern das Herz dieser Gesellschaften zu verstehen. Und das in einer Tiefe, die die Gesellschaftskritiker von heute wohl gern als 'problematisch' brandmarken.
In der Art, wie er die Religionen der von ihm erforschten Gebiete dokumentierte, wird eines klar: Er hatte wenig für den moralischen Relativismus übrig, der so viele Intellektuelle der Moderne in seinen Bann zieht. Vielmehr sah er die religiösen Praktiken als integrale Bestandteile der Identität, die nicht nur Befehle ohne tieferen Sinn liefern, sondern das soziale Gefüge strukturieren - vom Schamanen bis zum einfachsten Mitglied des Stammes. Kritiker mögen es als Insensibilität auslegen, dass er Klartext sprach, wo andere weichgespülte Phrasen dreschen.
Rafael Karsten besuchte unter anderem die Kogi-Indianer in Kolumbien, die ihm ihre von Mamas gelenkte Gesellschaftsstruktur offenbarten, eine nachhaltige Art der Selbstverwaltung, die so manches Klischee vom „edlen Wilden“ widerlegt. In den 1930er Jahren veröffentlichte er zudem seine Beobachtungen der Guarani-Kultur, die ihm besondere Einsichten in das Zusammenspiel von Mythos und Realität vermittelte. Ganz unverblümt wies er darauf hin, dass viele indigene Kriegspraktiken ein Teil des kulturellen Erbes und schlichtweg existent sein. Schwerlich mag der heutige politisch korrekte Geist diese Darstellung akzeptieren, aber es erfordert einen bewussten Geist, sich der Wahrheit zu stellen.
Und dann gibt es jene Werke über die Inka, deren tief verwurzelte religiöse Praktiken und administrativen Herangehensweisen bei Karsten keine moralischen Vorbehalte offen ließen. Er veröffentlichte „Die Religion der alten Inka“ und zeigte, wie strukturierte Götterverehrung mit der politischen Herrschaft und der sozialen Stabilität verzahnt war. Für Karsten waren die Wirklichkeiten dieser Gesellschaften keine Parabeln über die Schlechtigkeit, sondern veritable Lektionen über die menschliche Condition.
Karsten manifestierte in seinen Arbeiten eine klare Vorstellung: Menschliche Kulturen haben einen unbestreitbaren Wert, nicht weil sie einer zahnlosen moralischen Stufe entspringen, sondern weil sie in der Lage sind, uns etwas über die universelle Beschaffenheit des Menschseins selbst zu lehren. Es ist irrelevant, ob man ihn als Helden oder Anti-Helden einordnet. Wesentlich ist der Respekt vor der ungeschminkten Wahrheit.
Abschließend bleibt zu sagen: Rafael Karsten war zweifellos ein Mann, der mit seinen direkten, ungefilterten Studien Ergebnisse produzierte, die noch heute für Diskussionsstoff sorgen würden. Warum sonst nahm er die Bürde auf sich, antikes Wissen und verloren geglaubte Lebensentwürfe jenseits der politisch aufgeladenen Rhetorik zu ergründen? Seine Arbeiten sprechen für sich: Man lernt die Welt zu verstehen, nicht wie man sie gerne hätte, sondern wie sie tatsächlich ist.