Warum "Junge trifft Mädchen" ein Filmklassiker ist, der provoziert

Warum "Junge trifft Mädchen" ein Filmklassiker ist, der provoziert

"Junge trifft Mädchen" aus dem Jahr 1982 ist ein französischer Film, der Zuschauer in die rauen und unpolierten Tiefen menschlicher Beziehungen zieht, gepaart mit der nostalgischen und authentischen Kulisse von Paris. Ohne Rücksicht auf liberale Konventionen bietet der Film eine künstlerische Freiheit, die heutigen Erzählungen oft fehlt.

Vince Vanguard

Vince Vanguard

Wer hätte gedacht, dass ein Film aus dem Jahr 1982 immer noch die Gemüter erhitzen könnte? "Junge trifft Mädchen" (Originaltitel: "Boy Meets Girl") ist ein französischer Film von Regisseur Leos Carax. Er spielt in Paris und dreht sich um den frisch verlassenen Alex, gespielt von Denis Lavant, der sich in die traumatische und doch faszinierende Mireille (Mireille Perrier) verliebt. Diese durch und durch französische Geschichte entfaltet sich in einer Art und Weise, die weit entfernt von der politisch korrekten Erzählung von heute ist. Vielleicht ist genau das der Grund, warum er auch heute noch für Kontroversen sorgt.

Erstens liefert "Junge trifft Mädchen" eine Erzählung, die Hollywood zu der Zeit noch rar bot - eine unverblümte und rohe Darstellung von Emotionen. Während Hollywood-Filme zunehmend weichgespült und bemerkenswert zensiert werden, zieht Carax' Werk sein Publikum in die dunklen Gassen menschlicher Beziehungen, völlig ungeachtet aktueller sozialer Normen. Menschen treffen Entscheidungen, die nicht durch gesellschaftliche Konventionen, sondern durch ihre eigenen, ungebremsten Emotionen gelenkt werden. Erfrischend, oder?

Zweitens behandelt der Film die Stadt Paris nicht nur als Kulisse, sondern als eigenständigen Charakter. In jeder Szene spürt man das vibrierende Leben und den allgegenwärtigen Geist von Freiheit, dem sich die Protagonisten nicht entziehen können. Dabei ist Paris nicht das romantisierte Postkartenbild, das man aus modernen Medien kennt, sondern eine echte, manchmal düstere Stadt, die zum Seelenzustand der Hauptfiguren beiträgt. Man fragt sich ernsthaft, warum heutige Filmemacher so selten bereit sind, eine Umgebung in all ihren Facetten darzustellen.

Drittens bietet der Film eine eindrucksvolle künstlerische Handschrift. Ohne den Zwang zur Einhaltung liberaler Konventionen wird hier Filmemachen zur Kunstform. Schwarz-Weiß-Bilder, ein bestechender Soundtrack und der Mut zur Langsamkeit geben dem Publikum Raum zum Nachdenken und Fühlen. Das sorgt für ein Kinoerlebnis, das die schnelle, oberflächliche Konsumgesellschaft nicht bereitstellen kann oder will.

Der vierte Grund ist die Tiefe der Charaktere. Anstatt die Hauptfiguren als makellose Helden oder als simple Schablonen zu zeichnen, erlaubt Carax ihnen, menschlich und komplex zu sein. Alex ist kein strahlender Ritter und Mireille kein makelloses Mädchen. Jeder bringt eigenes Gepäck mit, und niemand wird am Ende des Films auf magische Weise "geheilt". Diese naturalistische Charakterzeichnung wirkt überraschend und aufregend realistisch.

Apropos Realität: Nummer fünf sind die Themen des Films. Anstatt sich mit oberflächlichen, kinderleichten Moralgeschichten abzufinden, fordert "Junge trifft Mädchen" das Publikum heraus, über Liebe, Verlust und die komplexe Natur zwischenmenschlicher Beziehungen nachzudenken. Anstatt Antworten zu geben, stellt er Fragen - genau das, was guter Film eigentlich tun sollte.

Sechstens, dieser Film weicht nicht von der Darstellung von Einsamkeit und Entfremdung zurück. In einer Welt, die geradezu besessen von der Schaffung künstlicher Nähe ist (man könnte sagen: „Die social media-geprägte Ära“), führt "Junge trifft Mädchen" dem Publikum die authentische Isolation urbaner Entfremdung vor Augen. Wie oft werden wir noch in aktuellen Geschichten gelehrt, dass wahre Verbindung unmöglich ist, wenn wir uns selbst verloren haben?

Und dann, siebtens, ist das Ende des Films. "Junge trifft Mädchen" speist sich nicht aus einem kitschigen "Happy End". Stattdessen lässt es uns mit mehr Fragen als Antworten zurück. Kein „Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage". Vielleicht hämmert genau diese Abkehr vom rosigen Geschichtenerzählen die Philosophie hinter Carax' Arbeit ein.

Achtens, lasst uns über den jugendlichen Rebell sprechen, der fehlt. Der Film verhöhnt das heutige Nachwuchskino, in dem Newcomer meist von gesichtslosen Blockbustern verschlungen werden. Denis Lavant als Alex ist alles, was ein jugendlicher Hauptdarsteller sein sollte: fehlerhaft, leidenschaftlich und völlig unbeeindruckt von der Meinung anderer. Ein richtiger Schlag ins Gesicht des gegenwärtigen, stromlinienförmigen Filmbetriebs.

Neuntens: wohin ist die wahre Originalität in der Filmindustrie verschwunden? "Junge trifft Mädchen" sprüht nur so vor frischem, unnachgiebigem Denken. Während heutige Produktionen mehr darum besorgt sind, ja niemanden vor den Kopf zu stoßen, zeigt Carax, dass Innovation entstehen kann, wenn man den Mut hat, gegen den Strom zu schwimmen.

Und schließlich zehntens: der Einfluss und die Legacy. Obwohl "Junge trifft Mädchen" als Feuilleton-Liebling gilt, blieb sein konfrontativer Stil nicht ohne Einfluss. Seine Erzählweise rüttelt auch an den Grundpfeilern moderner Filme, wenn man nur genau hinschaut. Kein geringeres Beispiel zeitgenössischer Regisseure hat ausgetretene Pfade verlassen und damit ikonische Werke geschaffen.

All diese Gründe ziehen einen klaren Strich zum aufstrebenden independent Kino der 1980er. Die Tatsache, dass "Junge trifft Mädchen" noch heute diskutiert wird, zeigt seine zeitlose Relevanz. Während heute Filme mehr nach quantitativen Erfolgsmaßstäben hergestellt werden, spricht dieser Klassiker die wahre Kraft des Kinos an: zu provozieren, zu berühren und nicht immer angenehm zu sein.