Es ist wahrscheinlich der faszinierendste Trend unserer Zeit: Generationen, die sich gegenseitig kancellieren. "Generationenstornierung" ist nicht bloß ein Schlagwort, sondern ein reales Phänomen, das in den sozialen Medien, Schulen und sogar am Arbeitsplatz zu beobachten ist. Doch was steckt dahinter, und warum ist das so ein heißes Thema? Schon seit den frühen 2000er-Jahren hat sich ein Bruch zwischen den verschiedenen Generationen abgezeichnet. Die Babyboomer bezeichneten die Millennials als überempfindlich, die Millennials warfen den Boomern vor, die Welt zerstört zu haben, und jetzt trifft das Ganze noch heftiger zwischen den eher konservativen Generation X und den progressiven Zoomern zu.
Immer wieder prallen Generationen wie Boxer aufeinander. Doch im Gegensatz zur fairen Sportarena gibt es hier keine klaren Regeln und Richter. Generationenstornierung bedeutet, jeglichen Respekt und Dialog zu begraben und stattdessen moralische Oberwaffen zu zücken. Digitale Plattformen bieten Bewegungen wie #CancelCulture perfekten Nährboden, und die jüngeren Generationen haben gelernt, diesen zu nutzen. Ob es darum geht, alte Kommentare auszugraben oder Empörung über historische Gestalten zu schüren - die Schere zwischen den Generationen weit sich immer weiter. Und das alles in einer Zeit, in der wir ohnehin eine nie dagewesene Polarisierung erleben.
Warum kommt es gerade jetzt zu dieser Welle der Stornierung? Ein Punkt ist ganz klar: die sich immer weiter ausbreitende digitale Landschaft. Jeder Fehler, mag er noch so banal oder historisch irrelevant sein, wird herangezogen, um die Vergangenheit zu präsentieren und zu bewerten. Dazu kommt ein gesteigertes Bewusstsein für politische Korrektheit und identitätspolitische Themen, die vor allem unter jüngeren Leuten en vogue sind. Wer sich dem nicht anpasst, wird mit Schneebällen aus moralischer Entrüstung beworfen. Auf der Strecke bleibt der Diskurs zwischen Generationen, und diejenigen, die sich der politischen Korrektheit verweigern, riskieren soziale Ächtung.
Eine weitere Dimension dieser Stornierung, ist die wirtschaftliche Ungleichheit, die viele Jugendliche empfinden. Die Jüngeren wachsen in einer Welt auf, in der Besitz von Wohneigentum ein ferner Traum bleibt und wirtschaftliche Stabilität ein Luxus ist. Schnell wird dafür eine Schuldige gesucht: die älteren Generationen, die vermeintlich die Welt, wie wir sie kennen, ruiniert haben. Doch anstatt den Dialog zu suchen, wird die Stornierung zur Waffe der Wahl.
Der Einfluss dieser Generationenkonflikte auf die Gesellschaft ist allerdings verheerend. Arbeitsplätze werden zunehmend zu Minenfeldern, in denen Worte wohlüberlegt sein müssen. Bildungseinrichtungen stehen unter einem Druck, der nicht nur akademischer Natur ist, und selbst zwischen Familienmitgliedern selbst zieht sich ein unsichtbarer Riss. Wenn Tradition als rückständig gebrandmarkt wird, und die Werte der Alten keine Plattform finden, laufen wir Gefahr, in einer Echokammer zu enden, die immer spärlicher mit Gedankenvielfalt besetzt ist.
Dabei gäbe es genau in diesen Diskussionen viel zu lernen. Generationen, die sich in ihrer Jugend selbst als rebellisch empfanden, sehen die heutigen Jugendlichen mit einem Schmunzeln und einer gewissen Skepsis. Sie erinnern sich an ihre eigenen Kämpfe und Unzulänglichkeiten. Doch anstatt den Dialog zu jedem günstigsten Anlass zu führen, setzen viele darauf, alte Versäumnisse auszugraben, in der Hoffnung, Errungenschaften zu korrigieren oder Personen zu diskreditieren.
Doch was bedeutet das für unsere Zukunft? Ohne Brücken, die auch die Kluft zwischen den Generationen überwinden, riskieren wir eine Gesellschaft, die sich zusehends fragmentiert und in der Polarisierung zum Alltag wird. Unterschiede nicht nur zu tolerieren, sondern als Chance zu sehen, ist die Herausforderung der kommenden Jahre. Schließlich war es noch nie die Schwäche früherer Generationen, Verfehlungen unter den Tisch zu kehren, sondern ihre Stärke, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, um die Zukunft besser zu gestalten.
Es wird immer darum gehen, das Erbe der Vergangenheit in etwas Besseres zu verwandeln — nicht durch Ausmerzen, sondern durch Verständnis. Die Kunst besteht darin, weder Nostalgie als Heilmittel noch Fortschritt als Allzweckwaffe zu betrachten. Denn nur dann können wir den tanzenden Vulkan namens 'Generationenstornierung' entschärfen und einen produktiven Dialog wiederherstellen.