Warum sollte ein Roman, der das beschauliche England der 1950er Jahre beschreibt, irgendeine Relevanz für unsere moderne Welt haben? Ganz einfach: „Eine Ferne Küste“ von Caryl Phillips, das 2004 veröffentlicht wurde, ist ein literarisches Meisterwerk, das die Widersprüche und Doppelmoral der multikulturellen Gesellschaft bloßlegt, die von der linken Elite so gerne romantisiert wird. Phillips, ein Autor, der in der Karibik geboren und in England aufgewachsen ist, scheut sich nicht, die komplexen Realitäten dieser idyllisierten Welten zu schildern. In einem kleinen Küstenstädtchen treffen der zielstrebige Engländer Dorothy und der karibische Flüchtling Solomon aufeinander. Ihr Zusammentreffen bietet eine Kulisse für eine schmerzhafte, aber notwendige Auseinandersetzung mit den Problemen, die durch unüberlegte multikulturelle Politik entstehen.
Was macht diesen Roman so brisant? Erstens, die Figuren. Dorothy ist keine typisch heroische Protagonistin. Ihre Realität ist geprägt von Isolation und psychischen Problemen, die durch die Anpassungen an ein modernes Leben verstärkt werden. Solomon, andererseits, ist nicht der gefeierte Held der multikulturellen Utopie, sondern ein Mann, der mit seiner Vergangenheit hadert. Hier wird die Illusion zerbrochen, dass das harmonische Zusammenleben verschiedener Kulturen einfach und konfliktfrei in die Realität umgesetzt werden kann.
Zweitens, die Darstellung der Gesellschaft. Phillips beschreibt eine Welt, in der Vorurteile und Stereotypen nicht etwas sind, das einfach durch neue Gesetze oder gut gemeinte Politik verändert werden können. Stattdessen zeigt er, dass diese tief in unseren sozialen Strukturen verankert sind. Jene, die der Utopie eines harmonischen Zusammenlebens durch staatlich geförderte Multikultur nachjagen, missachten oft diese tiefen Spannungen.
Drittens, Phillips' Erzählweise ist alles andere als politisch korrekt. Er beschreibt schonungslos die Abgründe der menschlichen Natur. Dorothy und Solomon sind keine perfekten, makellosen Teildarsteller eines modernen Epos, sondern vielmehr gescheiterte Protagonisten unserer Zeit. Ihre Geschichten sind realistisch, roh und unbequem. Doch genau deshalb bieten sie einen wichtigen Gegenpol zu der rosaroten Brille, durch die manche die kulturelle Vielfalt betrachten wollen.
Ein weiterer Punkt ist die kritische Auseinandersetzung mit der britischen Geschichte und ihrem kolonialen Erbe. Während einige gerne vergessen wollen, dass der Kolonialismus Spuren hinterließ, sowohl in den ehemaligen Kolonien als auch in Großbritannien selbst, beleuchtet „Eine Ferne Küste“ genau diese historische Verbindung. Sieht man genauer hin, erkennt man, dass Solomon kein einfacher Flüchtling ist, sondern eine Manifestation jener historischen Last, die im heutigen Rosarot der Integration oft ausgeblendet wird.
Die Handlung macht auch vor aktuellen Themen nicht Halt: Psychologische Borderline-Zustände, die oft genug als moderne „Epidemien“ verharmlost werden, bekommen durch Dorothy ein greifbares, tragisches Gesicht. Auch die Situation Solomons verweist auf gegenwärtige Flüchtlingsdebatten, wo die Alltagsherausforderungen mit einer übertriebenen humanitären Rhetorik konfrontiert werden.
Es gibt eine bemerkenswerte Szene, in der die beiden Hauptfiguren versuchen, durch eine angespannte Konversation ein bisschen Verbindung aufzubauen. Diese fast sentimentalen Momente des Verständnis' und Missverständnis gibt es im richtigen Leben selten, und dennoch wird uns hier vor Augen geführt, dass das echte Leben weit entfernt ist von den idealistischen Fiktionen, mit denen man uns füttert.
Dieses Buch ist ein Weckruf für all jene, die der einseitigen Erzählung einer siegreichen multikulturellen Utopie zugeneigt sind. Die Wahrheit ist nuancierter, komplizierter und, ja, in mancher Hinsicht tragisch. „Eine Ferne Küste“ ist nicht nur ein Roman über Begegnungen und Missverständnisse, sondern auch ein Spiegel unserer Gesellschaft, den man nicht einfach beiseite legen sollte, nur weil das Bild, das er zeichnet, nicht das ist, was man gerne sehen würde.
Caryl Phillips hat uns einen Roman geschenkt, der zugleich Literatur und Gesellschaftskritik ist, wobei er keine Rücksicht auf die Empfindlichkeiten jener nimmt, die eine andere Realität sehen wollen. Anstatt also in der sicheren Komfortzone unserer Überzeugungen zu bleiben, könnten wir „Eine Ferne Küste“ als Anreiz nehmen, über unsere Positionen und deren Konsequenzen nachzudenken. Desillusionierend? Vielleicht. Aber auch kraftvoll und notwendig.