Wenn ein fast vierstündiger Film, der 1973 in Frankreich entstanden ist, noch heute Aufsehen erregt, dann muss er zweifellos etwas ganz Besonderes an sich haben. "Die Mutter und die Hure" von Regisseur Jean Eustache ist genau so ein Werk. Dieses epische Drama, das in Paris spielt, kreist um die Themen Liebe, Verlust und das Chaos der menschlichen Beziehungen in einer postmodernen Welt. Der Hauptcharakter, ein intellektueller Twen, gespielt von Jean-Pierre Léaud, navigiert durch seine komplexen Beziehungen mit zwei Frauen – seine Freundin Marie und die Affäre Véronika.
Jetzt mal ehrlich, wer braucht schon Moral, wenn man Verzweiflung und Selbstzerstörung im Übermaß haben kann? Dieser Film zieht den Zuschauer tief in den Strudel des kulturellen und emotionalen Bankrotts der 70er Jahre. Post-68er-Desillusionierung trifft auf grenzenlosen Hedonismus, und die Dialoge erinnern eher an einen Rundgang durch die Gedankenwelt eines Professors in der Midlife-Crisis als an eine strukturierte Geschichte.
Diese Art von Kino ist wie geschaffen für die heutige cancel culture – das Gegenstück zur politischen Korrektheit. Komplett ungeschminkt und ohne Filter zieht der Film seine Bahnen. Hier wird verleugnet, enttäuscht und nicht gespart mit Ignoranz gegenüber dem konventionellen Anstand. Das mag 1973 als modern und bahnbrechend gegolten haben, aber in der heutigen Zeit, die von einer überzogenen moralischen Wachsamkeit geplagt ist, wäre ein vergleichbares Werk wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt, bevor es überhaupt das Licht des Kinos erblickt.
Und wer finanziert so ein Werk? Zum Glück niemand anderes als der französische Staat, der gerne seine schützenden Hände über kontroverse Kunstwerke hält. Ein Hoch auf die Freiheit der Kunst, auch wenn sie im Outfit eines dekadenten Daseins daherkommt. Dieses Werk würde zweifelsohne moderne Genderstudies-Professoren auf den Plan rufen, umgehend ihre literarischen Amokläufe gegen jegliche Darstellung von Männlichkeit und Unterdrückung in Gang zu setzen.
Im Mittelpunkt stehen drei Charaktere. Alex, perfekt gespielt von Léaud, der Prototyp eines selbsternannten Intellektuellen, der es vielleicht nie gelernt hat, Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Marie, gespielt von Bernadette Lafont, die Verkörperung der freizügigen Bohemienne, und Véronika, die von Françoise Lebrun gespielt wird, unfähig, ihre Bedürfnisse zu unterdrücken und doch kalt durch die Enttäuschungen des Lebens geworden.
Man fragt sich, ob so eine Geschichte überhaupt etwas mit dem heutigen Publikum zu tun haben kann. Fakt ist, dass die Dramatik und die emotionale Rohheit der Figuren universell sind, doch die Umgebung, die Handschriften der Zeit, in der der Film spielt, scheinen heute fast fremdartig anmutend. Aber gerade das macht den Reiz aus – es ist ein Einblick in eine Welt, die es so nicht mehr gibt und die für viele heute unverständlich erscheint.
Seien wir ehrlich, ein Film über eine Dreiecksbeziehung ist im liberalen Sinn nicht neu. Aber so monumental in Szene gesetzt mit unendlichen Dialogen über das Nichts dieser Welt bleibt es eine Ausnahmeerscheinung. Wo bleiben die modernen Gegenstücke? Dreht Hollywood solche Filme oder doch nur die X-te Marvel-Verfilmung für den Massengeschmack?
Der wahre Skandal dieses Films liegt in seiner Kompromisslosigkeit. Keiner der Charaktere, trotz aller Intelligenz, findet Erfüllung. Alle bleiben gefangen in ihren eigenen Kreisen aus Frust und Selbstinteresse. Der Zuschauer wird genötigt, sich diesen frappierenden Realitäten zu stellen, die man im allgemeinen Kino nicht mehr sieht.
Diese ungeschmeidige Darstellung der eigenen Verderbtheit und gleichzeitig die unendliche Suche nach einem nicht existenten Ideal kann durchaus als ein Alarmsignal von einst verstanden werden. Vielleicht eben auch eine dunkle Vorahnung unserer heutigen kulturellen Verwirrung. Die Mutter und die Hure – ein Film als Mahnmal unserer eigenen Komplexität, den jedoch viele heute wohl lieber vergessen möchten.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Der Film ist eine Explosion der 70er-Jahre-Stimmung – roh, ehrlich, und völlig unprätentiös. Ein Relikt einer Ära, die vielleicht mehr lehrte als die glatte Moderne das je könnte.