Wenn Sie glauben, dass Sie alles über die Abgründe menschlicher Beziehungen gelesen haben, dann ist Jun'ichirō Tanizakis Roman 'Der Schlüssel' da, um Sie eines Besseren zu belehren. Geschrieben im Jahr 1956, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, rollt der japanische Autor das intime Tagebuch eines konservativen Paares vor uns auf, das in einer Schrift expliziter und teilweise schockierender Natur gefangen ist. Die Handlung spielt in Japan, wobei Tokio der Hauptschauplatz für diesen voyeuristischen Bericht ist. Es ist der Schlüssel zu einem Schlafzimmerdrama – einer mysteriösen Enthüllung von Ehe-Geheimnissen, die uns fragen lässt, warum wir unser Leben in erster Linie anderen gegenüber offenbaren sollten.
Tanizaki nimmt die verkrusteten Normen der Ehe gnadenlos auseinander. Das Buch ist eine Art intime Postmoderne, die mit traditionell kulturellen Vorstellungen bricht, als die Ehefrau die Kontrolle über ihre Sexualität übernimmt, während der Ehemann seine eher traditionellen Rollen hinter sich lässt. Ah, aber was haben wir hier? Ein Spiel über Eifersucht, Paranoia, und Manipulation. Die Gewöhnliche zu erhabenen Statussymbole geronnenen Vereinbarungen werden zu einer Schaubühne bitterer Enttäuschungen. Wie könnte man das Liberalen erzählen, ohne dass sie die Alte Weltordnung als Schimpfwort empfinden?
Nun, stellen Sie sich das Szenario vor: Ein Ehemann auf der Suche nach dem ultimativen Kontrollverlust, notiert in seinem Tagebuch all seine sexuellen Fantasien und 'versehen' damit seine Frau. Dieser illustriert-tagebuchartige Schreibansatz löst nicht nur seinen Voyeurismus aus, sondern fordert auch die Grenzen dessen heraus, was als privat oder öffentlich gilt. Der Schlüssel ist offen, für beide Beteiligte gleich zugänglich – doch individuell anders. Dies gilt letztendlich als Tribut an die Macht der weiblichen Sexualität.
Nun zur Frau in dieser Geschichte! Es ist nicht zu leugnen, dass die weibliche Protagonistin, Ikuko, einen gewissen emanzipatorischen Unterton mit sich bringt, der in nicht wenigen feministischen Diskursen erwähnt wird. Dass sie ihren Ehemann manipuliert, ist nur das Sahnehäubchen auf der Torte. Dennoch, bei all diesem Gerede über Rasterzellen der Emanzipation und Gendergleichheit vergißt man gern, dass Tanizaki uns durch Ikuko die verführerische Kraft der Frau präsentiert, die um die Herzen ihrer 'Opfer' wehen kann wie Frühlingsbrisen.
Gehören Sie zu den prüden Lesern, die eine zweckdienliche Dekonstruktion traditioneller Rollen ablehnen, dann ist dieser Roman Unterhaltung in seiner reinsten Form. Den raffiniert gesponnenen Faden des Narrativs erhascht man, um herauszufinden, welches moralische Schlüsselloch als nächstes geöffnet wird. Die Erzähltechnik, die Tanizaki mit Anmut einsetzt, veranschaulicht, wie die Spannung zwischen zwei faszinierenden Menschen explizit in ihrer Lückenhaftigkeit gezeichnet ist.
Tanizakis eigener Konservatismus manifestiert sich in der subtilen aber beständigen Kritik an übersteigerten kulturellen Wandlungen. Während manche dafür plädieren, dass das Erkennen und Anerkennen von Mutwillen und Lust unbedingt notwendig sei, ist 'Der Schlüssel' das perfekte Beispiel dafür, dass sogar der Schein des Öffnens neuer Perspektiven mit einer gehobenen Stirn angeguckt werden sollte.
Zu guter Letzt bleibt festzuhalten, dass Tanizaki die Kunst versteht, selbst aus einer einfachen Alltagsbegebenheit kaum greifbare, fast melodiöse Spiralen der Provokation zu schaffen. Die manchmal aufgeladene Wucht der geschriebenen Worte geht stets einher mit einem feinen Gespür für Melancholie und Verlangen, die ihn zu einem unnachahmlichen Meister der Literatur machen.