Was knistert da so geheimnisvoll durch die Buchläden? Es ist Erich Kästners wenig beachtetes Meisterwerk "Der Letzte der Sechs" aus dem Jahr 1931, erschienen in Deutschland. Dieser Kriminalroman spielt in der brodelnden Atmosphäre Berlins und erzählt die spannende Geschichte eines Mordes, den es zu lösen gilt. In einer Stadt voller Hoffnungen und Träume entwickeln sich die spannendsten Geschichten oft im Schatten der Realität. Die Handlung dreht sich um sechs Menschen, die ein Erbe antreten sollen – aber einer nach dem anderen fällt Mordanschlägen zum Opfer. Die übriggebliebenen Erben werden in eine schwindelerregende Spirale von Misstrauen und Verdacht gezogen, während sie versuchen, die Identität des Mörders zu enthüllen. Und dabei liefert Kästner nicht nur spannende Unterhaltung, sondern auch einen faszinierenden Kommentar zu den sozialen Verhältnissen seiner Zeit.
Erich Kästner ist vor allem durch seine Kinderbücher wie "Emil und die Detektive" berühmt, aber in "Der Letzte der Sechs" zeigt er seine Fähigkeit, spannende und anspruchsvolle Geschichten für Erwachsene zu schreiben. Kästner schildert seine Charaktere mit einem tiefen, introspektiven Blick – hier gibt es keine modernen liberalen Helden, nur authentische Figuren voller Fehler und menschlicher Abgründe.
Die politische Szenerie dieser Zeit spielt eine große Rolle. Man kann nicht umhin, die fein gesponnene Kritik an einer Gesellschaft zu erkennen, die in einem dauerhaften Zwiespalt zwischen moralischen Idealen und realen Herausforderungen hängt. Dabei gelingt es Kästner, ohne moralischen Zeigefinger auszukommen - im Gegensatz zu diversen heutigen Romanen, die oft versuchen, durch gezwungene Botschaften zu glänzen statt durch eine authentische Erzählweise.
Der Roman ist clever konstruiert und spielt mit den Erwartungen des Lesers. Jeder Satz ist durchdacht, jede Handlung hat ihren Grund. Anstelle der unzähligen künstlichen Dramen, die oft nur zum bloßen Füllen von Seiten dienen, liefert „Der Letzte der Sechs“ echtes Krimi-Kino. Kästners Stil ist prägnant, sein Witz scharf – ein Kennzeichen, das man in der modernen Literatur oft vermisst. Fast wie eine Miniatur einer Sherlock Holmes-Geschichte, hat „Der Letzte der Sechs“ wahrscheinlich mehr Hirnschmalz pro Seite als viele heutige Bestseller auf den gesamten Seiten.
Und was kann man von den Charakteren lernen? Vor allem zu durchschauen, wie unveränderlich menschliche Natur ist. Kästner zeigt das Spiel der Täuschen und Tarnen auf eine subtile und geschickte Weise, dass man es fast mit dem intensiven Ringen der Protagonisten um die Wahrheit vergleichen kann. Eine Gesellschaft, die versucht, in einer sich ständig verändernden Welt ihren Platz zu finden – das ist ein Motiv, das zeitlos bleibt.
Kästners Berlin der 1930er ist facettenreich und voller Leben, ein Mikrokosmos der damaligen Zeit. Aber es ist nicht die glitzernde Fassade eines prosperierenden Europas, die er beschreibt, sondern eher das pulsierende Herz einer Gesellschaft auf Messers Schneide. Wer sagt, dass Geschichte keinen Einfluss auf Fiction hat? In „Der Letzte der Sechs“ ist der Einfluss der Weimarer Republik allgegenwärtig – ein stilles Zeugnis dessen, dass wahre Kunst die Wirklichkeit spiegelt.
Der Roman endet ohnehin mit einer überraschenden Auflösung, die sowohl gerecht als auch bitter ist. Es handelt sich nicht um ein Wohlfühlende, sondern einen letzten Schlag auf die Kinnlade der Vorurteile. Bevorzugt man daher aufklärerische, moralversessene Lektüre, die mit einer Heile-Welt-Botschaft endet, wird man hier vergeblich suchen.
Indem „Der Letzte der Sechs“ seiner Zeit voraus war, zeigt es einmal mehr, dass Kästners Schreiben sowohl hinter die Fassade der Gesellschaft blickt als auch Denkanstöße liefert, ohne mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger zu mahnen. Eines ist sicher: Wer einen Krimi der Extraklasse mit scharfsinnigen Beobachtungen aus einer der turbulentesten Epochen Deutschlands sucht, wird in Kästners Werk Einiges finden, worüber man wirklich nachdenken kann.