Wenn man der Meinung ist, dass alles in der deutschen Filmbranche nur langweilige Dramen sind, die liberale Gemüter beglücken, dann hat man „Das letzte Schweigen“ aus dem Jahr 2010 wohl übersehen. Dieser Film ist der ultimative Weckruf, der zeigt, dass der deutsche Thriller Marke Eigenbau auch jenseits der typischen Festival-Schnarcher etwas zu bieten hat. Wer hat, was, wann, wo und warum? Unter der Regie von Baran bo Odar wird hier ein ungelöstes Verbrechen aus vorangehenden Jahrzehnten neu aufgerollt. Die Geschichte beginnt mit dem furchtbaren Mord an einem jungen Mädchen auf einem abgelegenen Feld im Jahr 1986. Jahrzehnte später, bei brütender Sommerhitze, geschieht erneut ein Verbrechen am gleichen Ort: Ein weiteres Mädchen verschwindet spurlos. Der Ort des Geschehens ist ein friedliches, deutsches Dorf, ein scheinbar sicherer Hafen mitten im Nichts und doch ein regelrechter Abgrund voller Dunkelheit.
Was an diesem Film provokant wirkt, ist seine schonungslose Darstellungsweise der menschlichen Psyche und die moralischen Dilemmas, vor die uns ein solches Verbrechen stellt. Die Polizei wird repräsentiert von zwei sehr unterschiedlichen Ermittlern, die versuchen, mit der Vergangenheit abzuschließen, ohne der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Eines ist klar: "Das letzte Schweigen" ist kein Film für schwache Nerven. Der Zuschauer wird mit der absoluten Realität psychologischer Abgründe konfrontiert, wie sie in den meisten modernen Thrillern nicht mehr zu finden sind. Die Figuren sind gezeichnet von Schuld und Verdrängung und diese Schwere zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Film.
Jetzt mal ehrlich, wann hat man das letzte Mal in einer deutschen Produktion so brillantes Schauspiel erlebt? Die Besetzung besteht aus namhaften Schauspielern wie Ulrich Thomsen, Wotan Wilke Möhring und Burghart Klaußner. Besonders bemerkenswert ist die Leistung von Klaußner, der einen pensionierten Kommissar verkörpert, der von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht wird. Das Zusammenspiel dieser hochkarätigen Darsteller und die Fähigkeit, komplexe emotionale Lagen glaubhaft darzustellen, sind eine Klasse für sich.
Ein weiterer Punkt, der diesen Film von der Masse abhebt, ist seine visuelle Umsetzung. Was für ein gelungenes Spiel von Licht und Schatten; jede Kameraeinstellung ist durchdacht. Der Zuschauer spürt die Brutalität der Taten und die Verzweiflung der Angehörigen auf unbehagliche, geradezu greifbare Weise. Die Atmosphäre ist drückend, klaustrophobisch und zugleich einnehmend. Man wird regelrecht in diesen Albtraum hineingesogen und kann doch nicht wegsehen.
Und lassen Sie uns über die Musik sprechen: ein unaufdringlicher, doch markerschütternder Score, der perfekt die innerliche Zerreißprobe der Figuren untermalt. Keine trommelnden Nebengeräusche, die von der Handlung ablenken, sondern ein subtil eingesetzter Klangteppich, der die düstere Stimmung betont.
Was diesen Film auch für einen politisch Konservativen von Interesse macht, ist das unbeabsichtigte Aufzeigen bestimmter gesellschaftlicher Missstände. Der Film fragt: Wie weit gehen wir, um Schuld zu verbergen? Und was passiert, wenn wir in einer ach so liberalen Kultur einfach weghören? „Das letzte Schweigen“ zwingt den Zuschauer zum Nachdenken, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu erheben, was bei dieser Thematik eine Leistung für sich ist.
Nein, dies ist keine einfache Unterhaltung. Dies ist kein weltfremder Kunstfilm, sondern ein knallharter, dichter Thriller, der keine Gefangenen macht. Wer diese Art von Film boykottiert, verpasst nicht nur ein Meisterwerk der deutschen Filmgeschichte, sondern auch einen wichtigen Diskurs über die Abgründe unserer menschlichen Natur.
Abgesehen von der packenden Story und den großartigen Darstellern ist die Handhabung kontroverser Themen meisterhaft gelöst. Die Herangehensweise an pädophile Neigungen und sexuelle Gewalt wird schmerzhaft sensibel angegangen, ohne die Opfer anderweitig zu entblößen. Die Tabus werden nicht gebrochen, sondern angesprochen und thematisiert, ohne dass die Handlung in eine voyeuristische Richtung abdriftet.
Es ist selten, dass ein Film solch emotional intensives Material so handhabt, dass der Zuschauer sich am Ende irgendwie erleichtert, aber gleichzeitig nachdenklich fühlt. Genau diese Kombination macht „Das letzte Schweigen“ zu einem besonderen Highlight und einer Empfehlung, die man nicht mit der rosaroten Brille annehmen sollte. Setzen Sie sich, erleben Sie und denken Sie mal darüber nach, wie weit die Definition von Kino reichen kann.