Stell dir vor, ein junger Teenager begibt sich auf eine Reise der Selbstentdeckung inmitten der majestätischen Anden – das ist die faszinierende Welt von 'Retablo'. Dieser peruanische Film, der 2017 veröffentlicht wurde, behandelt die komplexen Themen Tradition, Identität und familiäre Bindungen. Regisseur Alvaro Delgado-Aparicio entführt uns in ein abgelegenes Dorf in Peru, wo die Tradition der Retablo-Herstellung, eine kunstvolle Handwerkskunst, von Generation zu Generation weitergegeben wird. Wir begleiten Segundo, einen 14-jährigen Jungen, der von seinem Vater Noé in die Kunst der Retablo-Herstellung eingewiesen wird.
'Quel' ist ein einzigartiges Wort, das den Retablo beschreibt, ein Miniaturaltar aus Holz und Ton, das religiöse Szenen darstellt. Doch der Film zeigt mehr als nur ein künstlerisches Handwerk. Segundo entdeckt einerseits seine eigene künstlerische Leidenschaft, während er andererseits ein Geheimnis seines Vaters aufdeckt, das sein Leben und seine Sicht auf die Welt für immer verändern wird. Der Film spielt eine prägende Rolle für den jungen Segundo, der langsam begreift, dass die Welt nicht so schwarz-weiß ist, wie er dachte.
Der Film wurde auf dem 68. Internationalen Filmfestival von Berlin bereits bei seiner Premiere hoch gelobt und später als offizieller Beitrag Perus für den Oscar in der Kategorie Bester internationaler Film ausgewählt. Delgado-Aparicio hat es geschafft, mit prägnanter Bildsprache und emotionaler Tiefe eine spannende Geschichte zu weben, die sowohl tief verwurzelt in ihrer Kultur als auch universell nachvollziehbar ist.
Ein zentrales Thema des Films ist der schmerzhafte Prozess der Akzeptanz in einer Gesellschaft, die von Traditionen geprägt ist. Während Segundo mit der Entdeckung der sexuellen Identität seines Vaters zu kämpfen hat, wirft der Film Fragen nach Toleranz und persönlicher Freiheit auf. Tradition fordert Gehorsam, während innere Wünsche nach Selbstausdruck und Freiheit streben. Die Herausforderung, zwischen diesen beiden Polen zu navigieren, ist nicht nur für Segundo real, sondern auch eine universelle Erfahrung.
Ein weiterer Aspekt von 'Retablo', der oft hervorgehoben wird, ist die Verwendung der Quechua-Sprache, die neben Spanisch gesprochen wird. Es verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart und beleuchtet gleichzeitig die reiche kulturelle Geschichte der Region. Linguistisch engagiert dieser Film die Zuschauer auf eine eindringliche Weise, die dazu beiträgt, die Authentizität der dargestellten Welt zu bewahren.
Interessant ist auch, wie 'Retablo' traditionelle Geschlechterrollen infrage stellt. Durch seine sanfte, aber kraftvolle Erzählweise fordert der Film stereotype Vorstellungen von Männlichkeit heraus und zeigt die Stärke von Verletzlichkeit. Während die Gesellschaft oft starre Erwartungen hat, zeigt Segundo's Reise, dass wahre Stärke im Akzeptieren und Ausdrücken der eigenen Identität liegt.
Aus oppositioneller Perspektive könnte man argumentieren, dass der Film zu stark auf der folkloristischen Darstellung beruht und dabei möglicherweise den universalen emotionalen Kern aus den Augen verliert. Doch gerade die kulturelle Dichte des Films ermöglicht einen tiefen Einblick in die Herausforderungen und den Reichtum des ländlichen Lebens in Peru.
Die visuelle Ästhetik von 'Retablo' ist ebenso erwähnenswert. Die atemberaubenden Landschaftsaufnahmen schaffen eine poetische Leinwand, auf der die Geschichte erzählt wird. Diese Kulisse verstärkt die emotionale Isolation der Charaktere und hebt die Themen Trauer und Hoffnung auf bemerkenswerte Weise hervor.
Für die Generation Z, die in einer zunehmend globalisierten Welt aufwächst, bietet 'Retablo' eine ehrliche Reflexion über die Suche nach Identität inmitten traditioneller Zwänge. Er zeigt, dass die Herausforderung, in einer Welt voller Erwartungen zu bestehen, universell ist. Demokratie und gesellschaftlicher Fortschritt können nicht ohne den schwierigen, aber essentiellen Prozess der Akzeptanz und des Verständnisses erreicht werden.
Alles in allem ist 'Retablo' ein filmisches Kunstwerk, das durch seine narrative Kraft und seinen kulturellen Reichtum beeindruckt. Es fordert seine Zuschauer auf, über die Komplexität menschlicher Beziehungen nachzudenken und zugleich die Kraft der authentischen Selbstentdeckung zu fühlen. Die Auseinandersetzung mit solchen Narrationen, die verletzliche und dennoch starke Stimmen präsentieren, ist entscheidend, um die Welt in ihrer vollen Vielfalt zu verstehen. Vielleicht liegt die größte Erkenntnis darin, dass wahre Schönheit nicht nur in der Prismatik der Farben und Traditionen, sondern auch in der Vielfalt und Tiefe menschlicher Erfahrungen liegt.