Stell dir eine Welt vor, in der Albträume zur Realität werden und familiäre Banden das letzte Bollwerk gegen das Vergessen der Menschheit sind. "Othercide" ist ein taktisches, rundenbasiertes Strategiespiel, entwickelt von Lightbulb Crew und veröffentlicht von Focus Home Interactive im Jahr 2020. In dieser bezaubernd grausamen Szenerie kämpfen die sogenannten "Daughters", Kriegerinnen, die aus den Erinnerungen einst mächtiger Frauen hervorgebracht wurden, gegen albtraumhafte Widersacher. Der Schauplatz des Spiels ist eine stilisierte, monochrome Welt, die in bedrohlich schönen Schwarz-, Weiß- und Rottönen gehalten ist. Das bietet nicht nur atemberaubende Visuals, sondern schafft auch eine Atmosphäre von beklemmender Melancholie.
Das Spiel ist für seine künstlerischen Elemente genauso bekannt wie für seine anspruchsvollen Spielmechaniken. Die Spieler werden gefordert, strategisch zu denken. Jede Entscheidung kann dramatische Folgen haben. Die Gesundheit jeder "Daughter" ist begrenzt und Heilung ist selten, was jede Schlacht zu einem kritischen Moment macht. Andere Spiele mögen es einfacher machen, Fehler zu korrigieren, aber "Othercide" hält dich in seiner Umklammerung aus verblassender Hoffnung und herzzerreißenden Entscheidungen fest.
Ein Aspekt von "Othercide", der besonders hervorsticht, ist sein Roguelike-Element, das dafür sorgt, dass kein Durchgang dem anderen gleicht. Das bedeutet, dass Verluste und Misserfolge Teil des Erlebnisses sind, was den ohnehin hohen Schwierigkeitsgrad weiter anhebt. Manche mögen geneigt sein zu sagen, das macht es zu frustrierend, aber die Genugtuung, eine unüberwindbare Hürde schließlich doch zu meistern, hat einen ganz eigenen Reiz. Für diejenigen, die Geduld und Hartnäckigkeit mitbringen, bietet "Othercide" einen tiefgehenden Genuss, der dazu einlädt, immer wieder zurückzukehren – selbst wenn man gescheitert ist.
Nicht alle können sich mit der düsteren Thematik und dem hohen Schwierigkeitsgrad anfreunden. Hier stoßen verschiedene Gaming-Welten zusammen. Einige Spieler ziehen hellere, entspannendere Spiele vor; verstehen das Spiel vielleicht als zu bedrückend oder gar deprimierend. Aber genau das ist es doch, was eine breitere Diskussion über die Vielfalt in Videospielen ermöglicht. Politisch drängen sich Fragen über den Zugang zu emotionaler Intelligenz und Empathie im Gaming auf. Einige argumentieren, dass Spiele, die Themen wie Verlust und Schmerz untersuchen, ein wesentliches Verständnis für reale emotionale Herausforderungen fördern können.
Ein weiterer interessanter Punkt ist die Repräsentation starker, weiblicher Charaktere in "Othercide". Jede "Daughter" verkörpert einen kleinen Teil des Ichs einer gewaltigen Kriegerin, was einen faszinierenden Blick auf Weiblichkeit und Stärke in einem Medium wirft, das oft von männlichen Protagonisten dominiert wurde. In einer Zeit, in der die Gaming-Industrie zunehmend nach Inklusivität und Gleichberechtigung strebt, ist "Othercide" ein leuchtendes Beispiel dafür, dass auch Nischengenres neue Maßstäbe setzen können.
Trotz des heftigen Drucks, den "Othercide" auf seine Spieler ausübt, bleibt es eine mitreißende Erfahrung. Es reinzuziehen, wenn man sich auf seine Prämissen einlässt, ist eine Reise in eine künstlerische und emotionale Tiefe, die viel Spielraum für Reflexionen lässt. Der Titel mag knallhart wirken, doch gerade diese unnachgiebige Härte eröffnet jene Erleichterung und Freude, wenn endlich ein feindliches Geschöpf besiegt wird. Man lernt, Verlust als Teil des Prozesses zu akzeptieren und gewinnt ein tieferes Verständnis dafür, was es bedeutet, sich Herausforderungen zu stellen.
Obwohl es nicht jedermanns Geschmack trifft, leistet "Othercide" einen wertvollen Beitrag zur Gaming-Landschaft. Für diejenigen, die den Mut haben, sich auf ein herausforderndes und gleichzeitig visuell atemberaubendes Abenteuer einzulassen, bietet dieses Spiel ein Erlebnis, das lange im Gedächtnis bleibt. Es zeigt, dass selbst in der Dunkelheit Schönheit gefunden werden kann, und die Stimmen derer, die wir verloren haben, sind stets in den Kriegerinnen, die unseren Willen in der virtuellen Welt widerspiegeln.