Wenn ein Tränen-Tattoo mehr Interesse wecken kann als die Diskussion über den Klimawandel, dann ist klar, dass unsere Prioritäten in der heutigen Gesellschaft ein wenig verrutscht sind. Wer kennt sie nicht: die geheimnisvollen Tränen unter den Augen vieler Menschen. Besonders spannend sind sie, weil sie so viele Fragen aufwerfen: Wer trägt sie? Was bedeuten sie? Wann entstand dieser Trend? Und warum finden wir sie an so vielen Orten, von der Straße bis zu den roten Teppichen?
In der Regel symbolisiert ein Tränen-Tattoo, dass der Träger entweder jemanden verloren hat oder selbst einen Mord begangen hat. Ursprünglich entstanden in den Gefängnissen von Amerika, um den Verlust eines geliebten Insassen zu kennzeichnen oder einen begangenen Mord zu zeigen, hat sich die Bedeutung im Laufe der Jahre verändert. Heute könnte eine Träne unter den Augen genauso gut ein Mode-Statement sein, das keinerlei kriminellen Hintergrund mehr hat.
Ein interessanter Aspekt unseres sozialen Gefüges ist, dass ein solches Tattoo, das einst im Zusammenhang mit Gewalt und Verlust gesehen wurde, nun zur Mainstream-Mode geworden ist. Stellt sich die Frage, ob wir als Gesellschaft so abgestumpft sind, dass extreme Formen des Ausdrucks uns kaum noch berühren. Anstatt das Tattoo als Warnsignal oder Mahnung zu sehen, wird es schnell als "cool" abgestempelt.
Klar, es gibt immer noch jene, die die traditionellen Bedeutungen wahren. Besonders in den USA bleiben Tränen-Tattoos ein Symbol für Bandenangehörigkeit und kriminelle Kämpfe. Fragen Sie einen Gefängnisinsassen in Kalifornien, und Sie werden eine detaillierte Geschichte bekommen – und nicht unbedingt eine, die in der Regenbogenpresse abgedruckt wird. Doch für den Durchschnittsbürger, der in einem Tattoo-Studio sitzt, könnte die Träne eher eine Form der Rebellion gegen eine als zu bieder wahrgenommene Gesellschaft sein.
Ein weiteres Phänomen ist, dass oft anders über Träger dieser Tattoos geurteilt wird – je nachdem, wer sie sind. Wenn ein Hollywood-Star mit einem Tränen-Tattoo auftaucht, wird er in der Regel als "mutig" oder "künstlerisch" bezeichnet. Ein Gangmitglied oder Ex-Sträfling wird dagegen sofort kategorisiert und negativ beurteilt. Diese Doppelmoral zeigt deutlich, wie oberflächlich das Urteil unserer Gesellschaft oft ist.
Es lässt auch die Frage aufkommen, ob der Trend des Tränen-Tattoos die gleichen Befürchtungen hervorrufen würde, wenn er nicht aus der kriminellen Umwelt, sondern vielleicht aus einer faszinierenden, aber sozial akzeptierten Kultur stammen würde. Schließlich ist es eine vermittelte Kombination aus Drama und Kontroversen, die die Menschen anzieht. So zieht selbst das simple Tränenmotiv mehr Aufmerksamkeit auf sich als ein traditionelles Blumen-Tattoo.
Nun, solche Dinge provozieren natürlich auch die typische liberale Reaktion, die uns zwanghaft dazu bringen will, alles und jeden zu akzeptieren. Immerhin sollte doch jeder das Recht haben, sich selbst auszudrücken, oder nicht? Diese Art von Freigeistern wäre wohl erstaunt darüber, wie ein Symbol der Kriminalität gleichzeitig in exklusiven Kreisen als "künstlerisch" gefeiert werden kann.
Es ist amüsant, wie wenig Diskrepanz es zwischen bedeutungsvollem Ausdruck und leerem Stil gibt. Die symbolische Vermittlung eines Gefühls oder einer Erfahrung ist dem auffälligen Äußeren untergeordnet. Diese Ironie scheint aber vielen zu entgehen. Und so bleibt das Tränen-Tattoo das, was es ist: Ein Spiegel, der die Prioritäten unserer Kultur offenbart, aber auch die Störfaktoren, die wir nicht wirklich konfrontieren wollen.
Die Tränen-Tattoos erinnern uns daran, dass selbst die trivialsten Dinge oft tiefgründigere Implikationen haben als zunächst gedacht. Sie sind Symbole einer Kultur, die persönliche Freiheit und Ausdruck über ihre ursprüngliche Bedeutung setzt. Ob das positiv oder negativ ist, hängt vom Bewertenden ab. Derlei Gedankenspiele gewähren uns einen wertvollen Einblick in die subtilen Dynamiken unseres sozialen Gefüges, die oft mehr Fragen aufwerfen als sie Antworten geben.