Wenn es jemanden gibt, der das Neue Testament mit einem scharfsinnigen Auge und präzisen Verstand unter die Lupe nahm, dann ist es Raymond E. Brown. Geboren 1928 in New York, war Brown ein amerikanischer Priester und biblischer Gelehrter, der sowohl katholische als auch protestantische Kreise mit seiner Arbeit beeinflusste. Seine Hauptwerke entstanden im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, natürlich in den USA, wo er an verschiedenen renommierten Universitäten tätig war. Aber warum erregte er so viel Aufmerksamkeit? Weil er die Bibel nicht als Ansammlung schöner Geschichten sah, sondern als komplexes Zeugnis göttlicher Botschaft.
Raymond E. Brown war kein gewöhnlicher Theologe. Seine Forschung galt als bahnbrechend, denn er verstand es, die Bibel mit einer seltsamen Mischung aus Akademikertum und Spiritualität anzugehen. Kritiker warfen ihm vor, zu liberal zu sein, was ironischerweise auch bedeutete, dass einige seiner Arbeiten unter manchen Katholiken nahezu revolutionär wirkten. Dennoch waren seine Analysen der Evangelien und seines Magnus Opus zur Theologie der Deutschen besonders prägnant und verhinderten vorschnelle und schwammige Interpretationen, die von so manchem modernem Gelehrten tendiert werden.
Ein weiteres Meisterwerk ist seine tiefgehende Sezierung der Johannesbriefe. Wer glaubt, diese Schriften seien simpel und leicht verständlich, dem hat er den Boden durchaus heftig unter den Füßen weggezogen. Brown schaffte es, scheinbar triviale Zeilen in einem so strahlend neuen Licht erscheinen zu lassen, dass selbst theologische Veteranen aufhorchten. Einige verdrehten dabei die Augen, andere horchten fasziniert zu; ganz im Sinne eines Provokateurs.
Dass er mit seinen Werken pro-amerikanische Werte der geistigen Unabhängigkeit zelebrierte, kitzelt einen liberalen Zirkel vermutlich nicht allzu angenehm. Brown scheute sich nicht, gegen den Strom zu schwimmen. Seine Theorien über die Geburt Jesu kämpften sich durch zwei Jahrtausende kirchlicher Doktrin. Wer sich mit den historischen Hintergründen der Szene im Stall befassen möchte, greift zu Raymond E. Browns „Birth of the Messiah“. Die Präzision, mit der er das Weihnachtsgeschehen auseinanderklamüsert, konnte niemanden kalt lassen.
Seine deutlichen Worte in der Debatte über die Jungfrauengeburt Jesu sorgten für Stirnrunzeln unter den striktesten Traditionalisten. Man muss sich seiner Argumentation aussetzen, die sowohl altmodische Glaubensrichtungen als auch moderne Interpretationen berücksichtigt. Browns Ziel war es eben nicht, blindlings Traditionen zu folgen, sondern die Wurzeln, die seinen Glauben trugen, zu verstehen und zu erklären. Ein neugieriger Geist, der Barrieren und Vorurteile sprengte: so beschrieb man ihn in Professorenkreisen häufig.
Doch Browns Werk über die Passion Jesu war es, das die meisten wissenschaftlichen Köpfe zum Grübeln brachte. Seine Forschung zeichnete sich durch das Zusammenführen von historischen und textlichen Analysen aus. Anstatt die Geschehnisse einfach stehen zu lassen, fragte er nach Quellen, Sitz im Leben und nach der Interpretation durch die frühen Christen. Es geht nicht nur darum, was gesagt wurde, sondern warum und unter welchen Umständen. Ein Ansatz, der viele Theologen beruflich weitreichend inspiriert hat.
Überraschend für einen Mann seiner religiösen Heimat war auch seine Offenheit gegenüber den biblischen Schriften der Welt. Während andere Chronistenschwestern des Mittelalters lediglich ihre enge Welt auf dem Pergament widergaben, nutzte Brown seine Plattform, um die universelle Gültigkeit der Bibel aufzuführen. Seine Bereitschaft, andere Perspektiven ernst zu nehmen, anstatt sie zu verteufeln, hob ihn von der Mehrheit der Gelehrten seiner Ära ab.
Die Kritik an seiner Methode bleibt nicht aus, jedoch erkennt man in Browns Schriften immer einen verbindlichen und redlichen Glauben. Das greifbare Wissen von Browns Penetration in biblische Hauptstränge ließ an Amerika erinnern, wo auch der offene Diskurs als heilige Instanz gefeiert wird. Ein intellektueller Freigeist in der Hülle eines demütigen Priesters, der trotz schwierigen Diskursen die Tradition nicht aus dem Blick verlor.
Raymond E. Brown starb 1998, aber sein Einfluss wird noch lange in kirchlichen Universitäten und kleinen Pastoralen weiterleben. Er ist ein Vorbild für Neugierige und skeptische Seelen, für die Wahrheitssucher. Seine methodische Herangehensweise an altehrwürdige Texte zeigt uns, dass der Glaube eine intellektuelle Herausforderung darstellt. Er hat nicht nur die Bibel, sondern auch unsere heutige Auseinandersetzung mit göttlichen Worten geformt. Für diejenigen, die die Bibel auf eine tiefere, aber solide und ehrliche Weise erforschen wollen, ist Raymond E. Brown eine goldene Quelle des Wissens.