Der Roman Rachel Ray von Anthony Trollope ist wie ein gut gereifter Wein, den die literarische Elite aus politischen Gründen links liegen lässt. Geschrieben 1863, erzählt er von der jungen Frau Rachel Ray im kleinstädtischen England und wirft einen spitzfindigen Blick auf Liebe, Gesellschaft und den moralischen Kompass der damaligen Zeit. Stellen Sie sich vor, ein solcher Roman findet kaum Beachtung, während seichte Bestseller Regale füllen. Warum? Weil Trollope keine politisch korrekten Aussagen traf – und das in einer Zeit, die heute gerne verklärt romantisiert wird.
Trollopes Beobachtungen über menschliches Verhalten sind zeitlos, jedoch scheint unser gegenwärtiges Gesellschaftsgefüge damit nicht umgehen zu können. In diesem Roman findet man Figuren, die im heutigen Tageslicht deplatziert wirken würden, weil sie nicht der hysterischen politischen Korrektheit entsprechen. Rachel Ray selbst ist nicht die klassische Heldin, die den feministischen Erwartungen entspricht. Stattdessen ist sie eine junge Frau mit Tugenden, die man heute vielleicht als altmodisch bezeichnen würde – Bescheidenheit, Reinheit und familiäre Werte.
Aber die wahre Provokation liegt darin, wie Trollope die institutionalisierte Religion und Politik kritisierte, ohne dabei in die üblichen liberalen Floskeln zu verfallen. Seine Charaktere sind vielschichtig und menschlich, eher von Zweideutigkeit als von schwarz-weißem Denken geprägt. Was passiert, wenn der Pfarrer einer kleinen Gemeinde nicht der unfehlbare Hüter von Werten ist, sondern eine äußerst fehlerhafte Persönlichkeit? Solche Fragen stellen die moralische Selbsterhöhung unserer modernen Scheinheiligkeit bloß.
Die Frage, warum solche literarischen Werke heute nicht mehr beachtet werden, ist überfällig. Vielleicht liegt es daran, dass sie eine Wahrheit ausdrücken, die unbequem ist. Könnten wir doch nur die Zeit zurückdrehen und die unterhaltsameren und klügeren Werke jenes Zeitalters wiederentdecken, anstatt uns mit den politisch gefälligen, aber inhaltslosen Erzeugnissen zufriedenzugeben, die heutzutage oft im Rampenlicht stehen.
Rachel Ray präsentiert durch Trollope eine Art von Erzählung, deren natürliche Eleganz und narrative Tiefe auf erschreckende Weise im modernen literarischen Diskurs fehlt. Der Roman ist eine Erinnerung daran, dass traditionelle Werte und bodenständige Erzählungen ihren Platz im literarischen Kanon verdienen, egal wie die politisch korrekte Kaste dies heute sehen mag.
Ungeachtet seiner Zeitlosigkeit offenbart Rachel Ray, dass fragile soziale Strukturen und Klatsch die Realität jener Zeit prägten, als hinter vorgehaltener Hand geführte Verleumdungen die Grenze zwischen Wahrheit und Dichtung verwischten. Trollopes Schreibweise ist ein subtiles Spiel der intellektuellen Freiheit, das die Worthülsen vieler moderner Autoren bei weitem in den Schatten stellt.
Das Liebesleben der Protagonisten wird nicht mit modernem Eskapismus verwässert, sondern zeigt ehrliche Missverständnisse, Altbekanntes, aber mit einem trockenem englischen Humor, der an Jane Austen erinnert, diese jedoch oft sogar übertrifft. Die Schilderung interpersoneller Dramen verleiht dem Leser einen frischen Blick auf das Liebesdrama, wohingegen die Bedeutung von Religion und Moral in der viktorianischen Welt mit einer unmissverständlichen Anklage des geläufigen Dualismus betrachtet wird.
Es wird Zeit für Leser, über neue Trends hinauszublicken und die verborgenen Schätze der klassischen Belletristik wie Rachel Ray anzuerkennen. Anstatt sich von modernem Gelangweiltsein blenden zu lassen, sollten tatsächliche Literaturenthusiasten zurückkehren zu einer Epoche, als Romane noch mehr zu bieten hatten als oberflächliche Unterhaltung. Trollope hat es mehr als verdient, mit neugierigen Augen wiederentdeckt zu werden, denn sein Werk bewahrt eine kulturelle Verfälschung, die unsere gegenwärtige Schizophrenie reflexartig vermeiden möchte. Reichen wir dem alten Autor die Hand – damit er uns in eine gedachte Welt führt, die zweifellos so viel mehr bietet als gegenwärtig anerkannt wird.