Pal Joey: Ein provokantes Meisterwerk, das die scheinheilige Gesellschaft entlarvt

Pal Joey: Ein provokantes Meisterwerk, das die scheinheilige Gesellschaft entlarvt

In "Pal Joey" entlarvt John O'Hara mit scharfsinniger Gesellschaftskritik das New York der 1930er Jahre durch die Augen des manipulativen Club-Entertainers Joey Evans.

Vince Vanguard

Vince Vanguard

In einer Welt der Scheinheiligkeit und moralischen Doppelmoral gibt es kaum ein literarisches Werk, das so scharfsinnig die Gesellschaft auf das Glatteis führt wie "Pal Joey" von John O'Hara. Erstmals 1939 veröffentlicht, entführt uns O'Hara in das New York der 1930er Jahre und sorgt dafür, dass die Fassade, die viele gerne aufrechterhalten, Genickstarre bekommt, wenn sie in den Spiegel schaut. Die Geschichte handelt von Joey Evans, einem manipulativen und ehrgeizigen Club-Entertainer, der sich durch die Nachtclubs schlägt und dabei den Wert von Beziehungen rein am eigenen Vorteil bemisst.

Das New York der 1930er Jahre war eine Ära des Skandals und des Glamours, in dem Joey sich wie ein Fisch im Wasser bewegte. Er hat eine große Klappe und viele Pläne - so einer, der trotz seiner anstößigen Art mit Charme fasziniert. O'Haras Joey ist ein Wiedergänger der Marktwirtschaft schlechthin, wo es immer darum geht, das Beste für sich herauszuschlagen, oft ohne dabei tatsächlichen Mehrwert zu bieten. Und sind wir mal ehrlich, ist das nicht letztendlich das, wohin die westliche Gesellschaft sich entwickelt?

Viele Leser finden Joey, den man nicht unbedingt als Held bezeichnen kann, erschreckend sympathisch. Seine Direktheit und Unverblümtheit sind heute eine Seltenheit in der Flut an liberal motivierten Erzählungen über Helden mit Herz aus Gold. Joey bietet keine Illusionen und keine falschen Versprechen. Er könnte sich als der unverfälschteste Charakter herausstellen, den man literarisch wohl erleben darf. Er erinnert uns daran, dass bei allem Streben nach Moralkodizes und Werten letztendlich der Eigennutz das menschliche Handeln oft leitet.

O'Hara geht dabei gegen den Strom und malt ein schonungsloses Bild der New Yorker Oberklasse. Joeys Liebschaften reichen von einfachen Mädchen bis hin zu verheirateten Frauen der besseren Gesellschaft, die, ob geleugnet oder nicht, oft einfach genauso in die Grauzonen der Moral abtauchen. Es ist eben einfach oft bequemer, sich in der Elite zu wähnen, solange man damit durchkommt. "Pal Joey" funktioniert wie ein Spiegelkabinett des Nachtlebens, in dem keiner seiner Protagonisten heil rauskommt.

Nun ist "Pal Joey" vielleicht nicht in allen Kreisen das, was man als 'politisch korrekt' bezeichnen würde. Aber genau das ist der Punkt! Warum immer im gleichen Reigen tanzen, wenn die Originalität so viel mehr zu bieten hat? Die liberalen Tendenzen mögen sich mit Vorliebe auf weichgespülte Helden fokussieren, die euch euer Gewissen streicheln, doch O'Hara bevorzugt die ungeschminkte Wahrheit. Es gibt keinen Zuckerguss, um die bittere Pille zu versüßen.

So verweisen Kritiker auch oft auf die Briefform des Romans, die es dem Leser erlaubt, Joeys Absichten und Gedanken direkt in seinen Briefen zu verfolgen. Diese Erzählweise verleiht der Geschichte eine fast schon dokumentarische Authentizität. Man wird auf perfide Weise Teil von Joeys Hinterzimmerplänen, während man sich fast schämt, aber auch amüsiert sieht, wie Gesellschaft und Selbstwert auf die Probe gestellt werden.

Der Roman hält ein unvergessliches sozialkritisches Fiasko der Heuchelei und des moralischen Zwielichts aufrecht. Er lässt das, was wir oft als sozialen Anstand bezeichnen, als das entlarven, was es zu oft ist: ein haltloses Glitzern ohne Substanz. "Pal Joey" ist eine Herausforderung an jedermann, der hinter die Fassade der Glitzerkultur blicken will, wo selbst das glamouröseste Leben Risse hat.

Wie geht man also mit einem Buch um, das einen so unverblümt auf die Missstände der Gesellschaft aufmerksam macht? Man geht den unbequemen Weg, liest es, und lernt die menschlichen Schwächen auf besondere Weise zu erfassen. John O'Hara hatte keine Angst, den Finger genau in die Wunde zu legen, während er mit Joey eine Figur schuf, die das Unerhörte zum Ausdruck bringt. Die Fragen, die das Buch aufwirft, sind ebenso relevant für heutige Gesellschaften, die sich immer noch im Streben nach Einfluss und Macht verlieren.

"Pal Joey" fordert das Denken heraus: Es zwingt uns dazu, über den Preis von Success nachzudenken. Welche Opfer bringen wir auf dem Altar des Wohlstands? Und vor allem: Wer sind wir wirklich hinter unseren perfekt geschminkten Masken? Die Provokation liegt in der Anerkennung, dass moralische Grauzonen nicht nur Joeys Metier sind. Auch wir bewegen uns darin, oft ohne es zu bemerken. Ein literarisches Werk von bleibendem Wert, dessen Schockwellen auch nach so vielen Jahren noch zu spüren sind.