Man mag es kaum glauben, aber im Jahr 1973 erschien ein Film, der noch heute für hitzige Diskussionen sorgt. 'Kleine Mutter' ist nicht nur ein Meisterstück des deutschsprachigen Kinos, sondern ein Spiegelbild jener Zeit, die vieles infrage stellt. Gedreht wurde dieser bemerkenswerte Film in der Bundesrepublik Deutschland unter der Regie von Hans W. Geißendörfer. Die Handlung dreht sich um Monika, eine junge Frau, die zwischen Freiheitsdrang und familiären Bindungen hin- und hergerissen ist, gezeichnet vom Spannungsfeld zwischen Alt und Neu.
Warum bleibt 'Kleine Mutter' ein Dauerbrenner? Vor allem, weil der Film die Zerreißprobe zwischen Tradition und Moderne so wunderbar einfängt. Die 1970er Jahre waren in Deutschland ein Jahrzehnt des Umbruchs, des Widerstands gegen das Alte und der Suche nach neuen Identitäten. Genau in diese Zeit passte 'Kleine Mutter' wie die Faust aufs Auge. Monikas Streben nach Selbstverwirklichung steht im Kontrast zu den konservativen Ansichten ihrer Umwelt – eine zeitlose Thematik, die aktueller nicht sein könnte.
Doch kommt auch die Frage auf, warum gerade dieser Film, der so vieles richtig macht, bei bestimmten Kreisen für solch starke Emotionen sorgt. Vielleicht, weil Geißendörfer mit 'Kleine Mutter' ganz bewusst mit bewährten Vorstellungen und Mustern bricht. Die Darstellung der weiblichen Hauptfigur als starke, eigenständige Frau traf viele in ihrem tiefsten Kern, vor allem jene, die sich mit traditionellen Rollenbildern identifizierten. Hier lässt sich trefflich streiten: Monikas Unabhängigkeit wird als grundlegend positiv dargestellt, ohne die Konsequenzen familiärer Entfremdung zu übergehen.
In 'Kleine Mutter' trifft der Zuschauer auf eine Protagonistin, die weder als klassisch weiblich noch als männlich stark vereinnahmt werden kann. Monika trotzt den patriarchalischen Strukturen ihrer Zeit und bricht aus. Doch ist dieser Aufbruch wirklich eine Ablösung von Traditionen? Oder missachtet sie einfach nur die Prinzipien, die viele als Grundlage unserer Gesellschaft ansehen? Diese Dualität zieht sich als roter Faden durch den Film und regt zum Nachdenken an.
Der Zeitgeist der 70er Jahre zeigt sich nicht nur in den Inhalten, sondern auch ästhetisch im Look des Films. Die Bildsprache ist roh, ungeschliffen und eindringlich – so wie die 70er selbst: wild, brüchig und in ständigen Veränderungsprozessen. Geißendörfer lässt keinen Zweifel aufkommen, dass man es hier mit einem Werk zu tun hat, das sich vom Mainstream-Seichtfilm abheben will – und es auch tut.
Politisch betrachtet mag der Film für den ein oder anderen ungemütlich wirken. Er zwingt dazu, die Komfortzone der vorgefertigten Meinungen zu verlassen und sich vielmehr mit den Nuancen dazwischen auseinanderzusetzen. Wer heute noch behauptet, Filme hätten keinen politischen Einfluss, der wird von 'Kleine Mutter' eines Besseren belehrt. Es ist ein Werk, das nicht nur unterhält, sondern provoziert – und somit nachklingt.
Natürlich stellt 'Kleine Mutter' auch für das konservative Lager eine Herausforderung dar: Wie geht man mit einer weiblichen Figur um, die sich nicht einsortieren lässt und Konventionen hinterfragt? Vielleicht sollte man genau hinschauen, anstatt Missstände vorschnell zu übersehen. Denn wenn eines klar ist: Dieser Film macht es leicht, sich Meinungen anzueignen, die über die übliche Gute-Laune-Unterhaltung hinausgehen.
Mit anderen Worten, 'Kleine Mutter' beweist, dass Filme aus den 70er Jahren nicht nur zu unterhalten wissen, sondern auch tiefschürfende Themen auf die Leinwand bringen. Man mag sich darüber streiten, ob Hans W. Geißendörfer bewusst provozieren wollte oder schlicht den Zeitgeist einfangen konnte. Fakt ist, dass wir es mit einem Film zu tun haben, der das Potenzial hat, die Gesellschaft aus einer anderen Perspektive zu beleuchten.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass 'Kleine Mutter' bis heute seziert und analysiert wird. Schließlich passt der Film perfekt in die Tradition der großen deutschen Kinomomente, die den Zuschauer zwingen, nicht nur zu konsumieren, sondern auch zu überdenken. Herrlich befreiend, dass hier ein deutscher Film jenseits des ewig Gleichen existiert.
Amüsant ist dabei der Gedanke, dass 'Kleine Mutter' gerade durch seine Ehrlichkeit und Schonungslosigkeit jenen ein Dorn im Auge ist, die nach konventionellen Regeln spielen wollen. Hier ist kein Platz für rosarote Brillen – und das sollte man auch zu keinem Zeitpunkt erwarten. Der Film schafft es, wie keine zweite deutsche Produktion jener Jahre, konsequent eigene Wege zu gehen.
Auch wenn man es nicht glauben mag: Ja, es gibt Filme, die auch Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen noch Relevanz besitzen. 'Kleine Mutter' ist so einer. Und das ist gut so. Denn Filme sollen nicht nur flimmern – sie sollen schmerzen, aufrütteln und Anstoß zur eigenen Reflexion geben. Mehr politische Sprengkraft geht kaum.