Wer glaubt, dass das Kino der 70er Jahre nur aus langhaarigen Hippies und sozialistischen Träumereien besteht, der muss sich mal „Ein völlig neues Leben“, den 1973 veröffentlichten Film von Regisseur Wolfgang Schmid, anschauen. Diese preisgekrönte deutsche Perle macht schnell klar, dass alternative Lebenskonzepte nicht nur für Linke gedacht sind. Der Film erzählt die packende Geschichte der Hauptfigur Martin, einem Mann, der in den 70ern in Westdeutschland lebt—einer Zeit und einem Ort, geprägt von politischem Wandel und wirtschaftlichem Fortschritt.
Martin, ein typischer Vertreter der schweigenden Mehrheit, wird mit der schlagartigen Veränderung seines Lebens konfrontiert, als er seinen Job verliert und sein bisheriges, stabiles Umfeld ins Wanken gerät. Der Film spielt in einem Deutschland, das sich mit der Nachkriegsgeschichte auseinandersetzt und dennoch vorwärts schaut. Doch Schmid schafft es, eine konservative Botschaft zu platzieren, die Martin nicht in die Arme der Revoluzzer oder Kapitalismuskritiker treibt. Vielmehr steht er für Entschlossenheit, Anpassung und die Familie als Kern dieser neuen Welt, ein unverhohlener Stoß in Richtung jener, die überbordende Freiheiten preisen, ohne an ihre Folgen zu denken.
Mit unglaublichem Geschick verwebt Schmid die politischen Ereignisse dieser Zeit in Martins persönliche Geschichte. Die Ölkrise, die zunehmende Arbeitslosigkeit und das Wirtschaftswunder stehen in krassem Gegensatz zu den persönlichen Krisen unseres Protagonisten. Diese Punkte würden wohl so manchen Liberalen die Haare zu Berge stehen lassen, die unkritisch auf die vermeintliche Glückseligkeit der 70er Jahre schielen. Der Film zeigt, dass wahre Resilienz und Stärke nicht in der Abwesenheit von Herausforderungen liegt, sondern darin, wie man darauf reagiert.
Das Spannende an „Ein völlig neues Leben“ ist vor allem die Art und Weise, wie konservative Werte subtil unter die Haut gehen, ohne jemals direkt ausgesprochen zu werden. Es ist ein Film über persönliche Verantwortung, den Drang nach Beständigkeit und die Macht der traditionellen Familie. Hier wird nicht herumgeschwafelt über die vermeintlichen Dogmen des gesellschaftlichen Wandels, sondern es wird handfest gezeigt, wie sehr klassische Werte das Fundament einer funktionierenden Gesellschaft bilden können. Wenn Martin zum Schluss mit erhobenem Haupt in ein neues Abenteuer startet, tut er dies nicht mit einem idealistischen Freiheitswunsch, sondern mit der Überzeugung, dass individuelle Stärke und Disziplin ihn weiterbringen werden.
Ein weiterer Meisterschachzug des Films ist die Darstellung von Geschlechterrollen. In der heutigen Zeit, in der Männer oft als toxisch abgestempelt werden, wenn sie ihren Mann stehen, und Frauen nur erfolgreich sind, wenn sie sich männlichem Verhalten anpassen, weht in „Ein völlig neues Leben“ ein anderer Wind. Die Figuren bewegen sich in einer Welt, die von echter Komplementarität geprägt ist. Männer und Frauen tragen in ihren jeweils traditionellen Rollen zur Gemeinschaft und der Stabilität ihrer Familien bei. Das mag nun beleidigend klingen für jene, die blind Innovation und Wandel hinterherlaufen.
Der Film beweist auch, dass es in der Kunst keinen Zwang zu progressiven Statements gibt, um bedeutend zu sein. Die damals hochmodernen Inszenierungen, gepaart mit klassischen Drehbuchtechniken, machen aus diesem Projekt ein zeitloses Werk. Es ist eine Offenbarung in Sachen Filmkunst, die ohne polemische Ausfälle oder agitatorische Monologe auskommt. Schmid hat einen Film geschaffen, der weder auf Provokation noch auf bloße Unterhaltung abziehlt, sondern auf eine grundlegende menschliche Wahrheit.
Angesichts dieser Errungenschaften fragt man sich, warum „Ein völlig neues Leben“ nicht seinen festen Platz in den Geschichtsbüchern des Kinos hat. Vielleicht weil er nicht die populäre „Freiheit für alle“-Botschaft trompetet, die so viele andere Filme hochhalten. Doch für Kenner und Liebhaber eines Films, der gesellschaftliche Werte transportiert, bleibt „Ein völlig neues Leben“ ein unverzichtbares Kleinod. Eine Ode an die unerschütterliche Kraft des Individuums in einer sich rasend veränderten Welt.