Wenn man glaubt, dass das letzte große Rockalbum in den 90er Jahren irgendwo zwischen Grunge und Britpop stecken geblieben ist, dann ist man wahrscheinlich noch nie in die schmerzhaft rohe und explosiv energiegeladene Welt von The Jesus Lizard eingetaucht. Ihre vierte Veröffentlichung, Down, 1994 auf die Welt losgelassen, ist ein fesselndes Zeugnis dessen, was passiert, wenn man die Zügel abwirft und wahre, ungezähmte musikalische Kraft entfesselt. Während die Welt an der Westküste der USA von den sanfteren Stimmen der Grungerock-Giganten besänftigt wurde, entfesselten die Chicagoer Avantgarde-Helden überraschend etwas, das so weit entfernt vom Mainstream war, dass es sich auf beinahe gefährliche Art und Weise authentisch anfühlte.
Warum gerade Down? Nun, dieses Album steht wie ein Widerstandspfosten gegen das in der Luft liegende „Einheitsgrau“ jener Zeit und trumpft mit abscheulichen Hymnen auf, die den Hörer in eine Welt voller musikalischer Aggression und textlicher Direktheit entführen. The Jesus Lizard schufen ein Werk, das klanglich schwerer war als ein Berg aus Verachtung und dabei doch so präzise wie ein chirurgischer Schnitt. Wir sollten nicht vergessen, dass Down vom legendären Produzenten Steve Albini überwacht wurde, bekennender Fan von Musik, die nicht nur wehtut, sondern in deiner Seele bohrt.
Aber, wie bei vielen großen Kunstwerken, ist es die unbestreitbare Chemie zwischen den Bandmitgliedern, die den entscheidenden Charme von Down ausmacht. Frontmann David Yow – ein schreihälsiges Energiebündel mit einem Hang zu kathartischen Bühneneinlagen – ist der uneingeschränkte Mittelpunkt dieser unverhohlene Zurschaustellung von Wildheit. Und dann ist da noch das väterliche Talent von Gitarrist Duane Denison, der mühelos eine Klanglandschaft aus krachenden Riffs und düsteren Melodien konstruiert.
Der wahre Coup jedoch ist, dass Down frei von all den oft kopflastigen sozial- und umweltpolitischen Aussagen war, mit denen einige ihrer Zeitgenossen zwanghaft hausieren gingen. Stattdessen entschließt sich dieses Album für rohe Ehrlichkeit – fast schon ein Schlag ins Gesicht jener, die der Meinung sind, dass Kunst immer eine Botschaft tragen sollte. Jedes Rif, jedes Schreien von Yow ist eine ungekünstelte Aussage: Musik ist letztendlich ein unmittelbares Erleben und keine bloße intellektuelle Prüfung.
Natürlich war das Album kein kommerzieller Frontrunner, sondern eher ein Juwel, das in den Schubladen jener Musikliebhaber funkelte, die den wahren Kern des Alternative Rock suchten. Es ist fast so, als ob The Jesus Lizard die geheime Sprache der Wut und Verzweiflung kultivierten, in einer Zeit, in der der amerikanische Mainstream mehr Interesse an wohltuender Hintergrundmusik zeigte. Man fragt sich, ob die liberalen Lieblingskinder der Musikindustrie desselben Geistes waren?
Einige der Höhepunkte des Albums – und ja, davon gibt es reichlich – zeigen den unentwegten Fokus der Band auf die Erschaffung eines musikalischen Statements, das sowohl verstörend als auch faszinierend ist. Songs wie "Fly on the Wall" und "Horse" zerreißen den Zuhörer mit ihrer brutalen, strukturellen Integrität und hinterlassen eine bleibende Spur im Gedächtnis. Kulturkritiker mögen entsetzt innehalten; wahre Kunst ist selten zimperlich.
Down war kein Kassenschlager und wird sogar heute von den großen Einkaufsstraßen des Musikmarkts ignoriert. Und genau darin liegt seine Kunstfertigkeit. Es gibt keine verdrehten Versuche, sich dem anonymen Geschmack der Masse zu beugen, sondern ein fester Wille, eine laute, unversöhnliche Klangwand zu errichten. Dieses Album ist ein Leuchtfeuer, ein Fixpunkt für jene, die nicht in den trägen Rhythmus der modernen Seele eintauchen, sondern danach dürsten, von echtem Rock aus den Latschen geschossen zu werden.
Man kann Down nicht einfach anhören – man muss es erleben. Es gibt eine vermisste Dringlichkeit in der heutigen Musiklandschaft, eine, die nur durch die Wiedererweckung solcher musikalischer Meisterwerke wie diesem hier wieder zum Leben erweckt werden könnte. In einer Ära, die anfällig für Selbstzufriedenheit ist, gibt es eine befreiende Klarheit in den verzerrten Gitarren von The Jesus Lizard, in einer Zeit, in der das wahre Drama nicht durch sorgfältig konstruierte Mediensafer-Zusammenhänge erzählt wird, sondern durch wahres, unverfälschtes Herzblut.
Wer meint, diese schroffe Melange aus Rock und nachdenklich stimmender Anarchie sei passé, der sollte nochmal genau hinhören: Down der Jesus Lizard fesselt nicht nur, es ist eine Offenbarung und bleibt auch nach 30 Jahren ein bedeutender Eckpfeiler einer längst überfälligen musikalischen Renaissance.