Ein Fotograf, der mehr als nur Gesichter festhielt – August Sander, ein Mann in dessen Händen die Kamera zu einem Werkzeug der Zeitgeschichte wurde. Das August Sander Archiv ist ein wahrhaft beeindruckender Ort, der in Köln beheimatet ist und die Werke eines Fotografen zeigt, dessen Arbeit die Gesellschaft so präzise seziert hat wie ein messerscharfer Kommentar. Sander, geboren 1876 und gestorben 1964, hat es verstanden, die soziale Struktur seiner Zeit mit meisterhafter Brillanz abzubilden. Aber wieso ist er so relevant in einer Welt, in der jeder selbsternannte Künstler das Smartphone zückt, um ein flüchtiges Bild zu knipsen?
Zunächst einmal, weil Sander kein Träumer, sondern ein realistischer Chronist war. Seine bekannteste Serie 'Menschen des 20. Jahrhunderts' zeigt nicht nur zufällige Porträts, sondern gesellschaftliche Typen mit einer Klarheit, die man in den sozialen Netzwerken der heutigen Ära vergeblich sucht. Diese Art von Archiv ist nicht nur ein Rückblick in die Vergangenheit, sondern ein Spiegel, der uns zeigt, wie wenig sich eigentlich verändert hat – und das auf eine Weise, die manchen übereifrigen Sozialingenieur vermutlich Schnappatmung beschert.
Inmitten der Weimarer Republik begann Sander seine Arbeit an diesem monumentalen Werk, das die verschiedenen gesellschaftlichen Stände, Berufe und Gesichter seiner Zeit einfing. Heute, Jahrzehnte später, sind seine Werke mehr denn je von Bedeutung. Denn in einer Zeit, in der ideologische Grabenkämpfe die Landschaft durchziehen, könnte ein wenig Realismus nicht schaden, oder? Hier zeigt sich die Stärke solcher Archive: Sie fangen die Realität in einer Weise ein, die weder geschönt noch ideologisch gefärbt ist.
Ein Besuch im August Sander Archiv könnte man fast schon als einen bildenden Ausflug betrachten. Doch lassen Sie sich nicht von den schlichten, sachlichen schwarz-weißen Porträts täuschen. Diese Bilder sprechen. Sie schreien förmlich nach einer Zeit, in der Kompetenz, Berufe und Klassen klar definierte Ränder hatten. Wer einen Meister der Komposition und des gesellschaftlichen Kommentars erleben will, der sollte die engen Gänge dieses Archivs durchwandern.
Ein weiterer Grund, warum Sander so aktuell bleibt, liegt vielleicht in der Art, wie er seine Subjekte erfasste – gleichsam scharfsinnig und unvoreingenommen. Jeder, der glaubt, dass Fotografie eben nur aus Selfies mit Instagram-Filtern besteht, wird hier eines Besseren belehrt. Sander zeigte uns den Wert durchdringender Beobachtung. Es geht nicht um die oberflächliche Schönheit der Gegenwart, sondern um das Verstehen einer ganzen Ära. Keine politisch korrekt aufpolierten Geschichtsstunden, sondern das wahre, ungeschminkte Bild.
In Köln, wo das August Sander Archiv seinen Schatz hütet, bietet sich eine erholsame Atmosphäre, die Raum zum Nachdenken und Reflektieren über das Gesehene schafft. Hier mag man, umgeben von der stillen Ernsthaftigkeit der Portraits, eine tiefe Bewunderung für einen Mann entdecken, dessen Kamera die Gesellschaft mit mehr Weisheit betrachtete als so manches politisch getriebenes Manifest.
Wem es also nach einem Ausflug dürstet, der sowohl die historische Bildung anregt als auch die täglichen Glaubenskriege unserer Zeit in den Hintergrund rücken lässt, dem sei das August Sander Archiv wärmstens empfohlen. In einer Welt, die sich konstanter Oberflächlichkeiten hingibt, erinnert uns Sander daran, dass tiefgehende Reflexion nicht nur wertvoll, sondern auch notwendig ist.