Wenn man nach einem Film sucht, der allen Sensibelchen mal so richtig die rosarote Brille abnimmt, dann ist „Alice lebt nicht mehr hier“ genau das richtige Mittel. Regie führte der unverwüstliche Martin Scorsese, der sich 1974 daran wagte, in die eher beschauliche Welt der Frauenfilme einzutauchen. Endlich ein filmisches Kunstwerk mit Ellen Burstyn in der Hauptrolle als Alice Hyatt, das nicht nur als unverdächtiger Stoff für Hausfrauen gehandelt werden kann, sondern auch als zukunftsweisende Vision für Eigenständigkeit. Die Frage, die sich hier stellt, ist: Warum werden solche Filme nicht mehr gemacht? Fragt man sich doch immer wieder, ob wir im Zeitalter von Political Correctness noch solche realistischen und doch rabiaten Verständnisse über die weibliche Autonomie bekommen.
Alice lebt nicht mehr hier, da sie gezwungen wird, der Realität ihrer Ehe zu entkommen, nachdem ihr Mann bei einem Autounfall von der Bildfläche verschwunden ist. Plötzlich allein mit ihrem Sohn, schlägt sie sich mehr schlecht als recht als Nachtclubsängerin, Kellnerin und Lebenskünstlerin durch. Faszinierend an dem Film ist, wie er sich nicht scheut, die Härten des Alltags und die oft so kaltherzige Natur der amerikanischen Gesellschaft der 70er Jahre zu zeigen. Scorsese mag ein Altmeister sein, der in späteren Filmen den Fokus eher auf mafiaähnliche Strukturen legte, doch hier zeigt er ein bemerkenswertes Gespür für das persönliche Drama einer Frau am Existenzminimum. Wer hätte gedacht, dass ein konservativer Filmemacher solch tiefe Einblicke in das weibliche Selbst geben könnte?
Ein Grund, warum dieser Film auch heute noch unbequeme Wahrheiten ans Licht bringt, ist die Tatsache, dass Alice ihr Schicksal in die eigenen Hände nimmt, statt als Märtyrerin endlos zu leiden. Ein gewisser Pragmatismus, den man im heutigen Kino schmerzlich vermisst. Während progressive Kreise zig Verordnungen und Erlasse fordern, um Geschlechterrollen zu dekonstruieren, demonstriert „Alice lebt nicht mehr hier“ durch einfache und direkte Erzählweise die Macht der Selbstbestimmung. Alice sucht sich eine Arbeit, einfache typische Jobs, Turnschuhe statt glitzernde Pumps. Eine wunderbar subtile Botschaft, die im hektischen Hollywood von heute nicht mehr gefragt zu sein scheint.
Das Herz des Films liegt in seiner Einfachheit und an der Zugänglichkeit seines Themas. Ein Film ohne pompöse Szenen oder unnötige Effekte, doch trotzdem gut darin, eine komplexe und fesselnde Geschichte zu erzählen. Selbst diejenigen, die keinen besonderen Drang verspüren, feministische Themen zu erörtern, werden hier bestens bedient. Es spielt das ewige Thema, dass es im Leben nicht darum geht, Märchen zu erzählen, sondern zu überleben und stets die nächste Hürde zu nehmen, ohne weltbewegende Manifeste zu verabschieden. Alice schreit nicht nach Weltrettung oder Gleichstellung. Ihr Streben ist vielmehr ein alltäglicher, fast beiläufiger Akt menschlicher Anpassung und Weiterentwicklung.
Das Zusammenspiel von Ellen Burstyns hervorragender Darstellung mit Scorseses Regieführung zeigt, dass selbst ein Film von 1974 bis heute zuschlagen kann. Genau das, was wir mehr brauchen: Geschichten von ganz normalen Menschen, die ihre Verantwortung wahrnehmen, statt auf fremde Hilfe zu setzen. Ein erstaunlicher Kommentar über Selbstständigkeit und Freiheit. Obwohl der Film in einer anderen Dekade spielt, bleibt die Botschaft aktuell, sie funktioniert wie ein stiller Protest gegen eine Gesellschaft, die verloren in ideologischen Debatten kaum noch weiß, welche Richtung sie nehmen soll.
Viele scheinen heutzutage vergessen zu haben, dass das wirkliche Leben außerhalb der studierten Theorien liegt. In jeder Szene strahlt „Alice lebt nicht mehr hier“ eine Empathie aus, die auf persönlichen Erlebnissen und einer authentischen Lebensdarstellung basiert. Es ist eben keine schnulzige Unterhaltung, sondern eine mutige, kritische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, die eine Einzelperson hat, um Widrigkeiten zu trotzen, indem sie das Beste aus allem macht. Scorsese zeigt schon früh, dass er in der Lage ist, ein Thema jeder beliebigen Machart anzupacken und in ein aufrüttelndes Kinoerlebnis zu verwandeln.
Das ist der Kern dieser Erzählung, während so viele andere nur die Oberfläche berühren. Was bleibt von einer Gesellschaft, die sich selbst immer weiter zersetzt? Comics und Märchengebilde? Vielmehr sollte man sich von Alices Erlebnissen inspirieren lassen, die uns daran erinnern, dass der Stil, mit dem wir Widrigkeiten begegnen, zählt, und nicht die äußeren Umstände. Es erfordert Mut, Kreativität, und letztendlich den Willen zur persönlichen Veränderung, um ein sinnvolles, selbstbestimmtes Leben zu führen.
Die Kraft von „Alice lebt nicht mehr hier“ liegt nicht nur in seiner Authentizität, sondern auch in der universellen Wahrheit, dass Unabhängigkeit nicht an Geschlechterfragen hängt. Wenn man sich mit klaren Perspektiven Führung und Standhaftigkeit erarbeitet, kann man, wie Alice es lehrt, in jeder Welt seinen Platz finden, auch ohne auf ein absurdes gesellschaftliches Experiment angewiesen zu sein.