9 bis 5: Tage im Porno – Ein riskanter Blick hinter die Kulissen

9 bis 5: Tage im Porno – Ein riskanter Blick hinter die Kulissen

Der Dokumentarfilm "9 bis 5: Tage im Porno" von Jens Becker gewährt einen offenen Blick auf die wenig glamourösen Arbeitsbedingungen in der europäischen Pornoindustrie und regt zur Diskussion über gesellschaftliche und politische Aspekte an.

Vince Vanguard

Vince Vanguard

Manchmal wundere ich mich, ob einige Menschen morgens aufwachen und beschließen, "Ich werde einen Film über die Pornoindustrie drehen". Aber genau das tat der preisgekrönte Regisseur Jens Becker. Sein Film „9 bis 5: Tage im Porno“ eröffnet uns einen ungeschönten Blick hinter die glitzernde Fassade einer Branche, die oft mehr mit schattigen Geschäften als mit Glamour zu tun hat. Gedreht wurde das Ganze über mehrere Jahre hinweg in den tristen Industriestädten Deutschlands, in denen der moralische Kompass manchmal verrutschen zu scheint ist. Die Dokumentation beleuchtet die Ambivalenz dieser Lebenswelt und bietet einen Stoff, der anscheinend polarisierende Diskussionen entzünden soll.

Die Hauptdarsteller sind keine Oscar-Träger, sondern alltägliche Menschen, die ihren Lebensunterhalt in einer der ältesten Industrien der Welt verdienen. Man könnte meinen, der Film sei eine Hommage an den Mut dieser Männer und Frauen. Doch schon früh zeigt sich, dass hier oft Menschen ausgenutzt werden – sei es finanziell, emotional oder körperlich. Der Film hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese weniger bekannten Aspekte der Branche zu beleuchten, und das macht er gnadenlos.

Natürlich sind da die typischen Stereotypen. Die veneziansiche Weiblichkeit in teuren Stilettos, die harten Kerl-Aktionen, um das Publikum bei der Stange zu halten. Aber es sind die Zwischentöne, die diesen Film so ergreifend machen. Becker hat es geschafft, intime Momente der Verwundbarkeit einzufangen, die selten die Schnittstelle zur Öffentlichkeit schaffen. Die Darsteller kämpfen nicht nur mit gesellschaftlichen Stigmatisierungen, sondern auch mit eigenen persönlichen Dämonen.

Während sich die einen als Künstler sehen und die Anerkennung suchen, werden andere durch den wirtschaftlichen Druck getrieben. Diese Vielfalt an Motivationen wird auf faszinierende Weise erkundet. Man könnte sich fragen, welche Rolle die liberalen politischen Strömungen in der Legitimierung solcher Berufsbilder spielen. Der moralische Spielraum scheint sich auszuweiten, doch um welchen Preis? In einer Gesellschaft, die ständig Freiheit und Toleranz predigt, muss man gelegentlich innehalten und die involvierten Kompromisse hinterfragen.

Ein Aspekt, der im Film erwähnt wird, sind die harten Arbeitszeiten und die fragwürdigen Bedingungen, denen die Darsteller oft ausgesetzt sind. Jeder Vertrag in der Pornoindustrie ist mehr als nur eine Arbeitsvereinbarung; es ist eine komplexe Verhandlung über individuelle Grenzen und persönliche Freiheit. Die meisten von uns arbeiten von 9 bis 5 in Büros, aber hier, in der knallharten Realität der Pornoindustrie, verschwimmen die Grenzen von Arbeit und persönlichem Raum häufig.

Neben den Schwerpunktsetzungen auf die individuelle Lebensrealität gibt es auch gesellschaftliche Implikationen zu beobachten. In einem kulturellen Panorama, das zunehmend von Hypersexualisierung geprägt ist, fungiert die Dokumentation als ernüchterndes Zeitdokument, das vor den Gefahren einer völlig entgrenzten Darstellung von Sexualität warnt. Wie sieht es tatsächlich mit der Gleichstellung aus, wenn Frauen und Männer für das Publikum auf ihrem Stolz trampeln müssen?

Der Film bietet nicht nur einen Einblick, sondern wirft auch wichtige politische Fragen auf. Die Verantwortlichkeiten der Filmproduzenten werden genauso beleuchtet wie die Marketingstrategien, die diese Produktionen auf den Markt bringen. Sollten wir uns nicht fragen, welches Bild von Beziehungen und Sexualität hier vermittelt wird? Während liberale Stimmen oft das Recht auf freie Berufswahl verteidigen, sollte man auch die ethischen Grenzen solcher Entscheidungen beleuchten.

Letzten Endes fordert „9 bis 5: Tage im Porno“ uns dazu auf, über Akzeptanz und Verwertbarkeit nachzudenken. Ob man diesen Film als Unterhaltung, gesellschaftskritisches Werk oder gar als Heldenepos betrachtet, bleibt dem Zuschauer überlassen. Der kritisch denkende Geist wird die Komplexität dieser Thematik erkennen und möglicherweise eine differenziertere Sicht auf die Welt, in der wir leben, entwickeln. Wenn dieser Dokumentarfilm eines tut, ist es, die fragwürdige Selbstverständlichkeit des Mainstreams in Frage zu stellen, die uns häufig nur allzu bereitwillig ins Gesicht lächelt.