Jean-Paul Sartre ist wie der Rockstar der Philosophie: rebellisch, provokant und tiefgründig. In seiner Kurzgeschichtensammlung "Die Mauer", veröffentlicht 1939, wirft er uns mitten hinein in die Schattenseiten der menschlichen Erfahrung. Im Frankreich der Zwischenkriegszeit, einer Zeit der Unsicherheit und Transformation, skizziert Sartre eine Welt voller Verzweiflung, Existenzangst und moralischen Zwickmühlen. Warum also diese Sammlung ausgerechnet jetzt, für eine Generation, die jedoch mit gänzlich anderen Problemen kämpft, von Bedeutung ist, wollen wir näher betrachten.
Die Titelgeschichte "Die Mauer" dreht sich um drei Männer, die im spanischen Bürgerkrieg gefangen genommen und zum Tode verurteilt wurden. Sartre führt uns an die Grenze der Vernunft und zugleich tief ins Herz des Absurden. Diese Geschichten sind mehr als Schilderungen von Verzweiflung. Sie sind eine Untersuchung menschlicher Entscheidungen in Extremsituationen. Verführung, Lüge und das nackte Überleben. All das in einem einzigen kalten Keller verdichtet. Sartres Figuren verhalten sich weniger heroisch und mehr wie jeder von uns, wenn wir mit der Endlichkeit unserer Existenz konfrontiert werden.
Sartres Philosophie des Existentialismus ist spürbar. Für ihn ist das Leben an sich absurd. Die Bedeutung entsteht erst durch die Entscheidungen, die wir treffen. Der Gedanke, dass nichts einen objektiven Sinn hat, mag für manche beängstigend wirken, für andere ist es jedoch befreiend. Abseits der ausgetretenen Pfade können wir tun und lassen, was wir wollen. Es ist erstaunlich zu beobachten, wie sich diese Idee in Sartres Geschichten entfaltet. Jede Figur ist wie ein Schachfigur auf einem politischen Spielfeld, gezwungen, sich in einem Spiel zu behaupten, das sie nie spielen wollten.
Die Sammlung beinhaltet außerdem die Geschichten "Das Zimmer", "Erziehungsschnurren", "Herostratos" und "Intimität". Jede Geschichte beleuchtet einen anderen Aspekt der menschlichen Erfahrung. "Das Zimmer" handelt von der Beziehung zwischen einem paranoiden Ehemann und seiner Frau. Es zeigt, wie irrational die Realität werden kann, wenn man sie durch die Linse von Angst und Misstrauen betrachtet. In "Intimität" spürt man den verzweifelten Versuch, Nähe zu schaffen, dort wo Distanz übermächtig geworden ist. Steht man in der Existenzangst des 20. Jahrhunderts, haben solche Erzählungen eine geradezu prophetenhafte Qualität.
In der Auseinandersetzung mit diesen Geschichten kann man sich fragen, warum solche düsteren Themen gerade heute relevant sind. Wir leben in einer Ära zunehmender Hyper-Verbindungen, in der jeder Schritt von Millionen digital verfolgt werden kann. Doch gleichzeitig gibt es eine zunehmende Isolation in der physischen Welt. Diese Widersprüche machen Sartres Werke aktueller denn je.
Der existentialistische Gedanke, dass wir vor die Wahl gestellt sind, ein authentisches Leben zu führen oder uns den Normen der Gesellschaft zu beugen, bleibt brisant. Besonders für die Generation Z, die mit dem Druck von sozialen Medien und dem Streben nach Individualität konfrontiert ist. Sartre bietet kein Heilmittel, aber einen Spiegel, in dem wir unser Streben nach Freiheit, Essenz und Existenz reflektieren können.
Kritiker von Sartres Philosophie mögen argumentieren, dass diese Weltsicht zu pessimistisch ist. Es kann jedoch befreiend sein, die Macht in den eigenen Händen zu wissen. Auch wenn dies mit Verantwortung einhergeht. Es kann jedoch hilfreich sein, sich in Zeiten von Unsicherheit darauf zu besinnen, dass wir jederzeit die Möglichkeit haben, unser Dasein selbst zu gestalten.
Jean-Paul Sartre bleibt durch seine praxisnahen und erzählerischen Ansätze ein Denker, der nicht aus der Mode kommt. "Die Mauer" ist ein brillanter Einstieg in sein literarisches Schaffen, der uns auf eine philosophische Reise der Selbsterkenntnis mitnimmt. Diese Sammlung zeigt, dass selbst in den dunkelsten Momenten menschliche Freiheit nicht nur illusorisch ist, sondern eine stets greifbare Realität. Für Gen Z mag dies der Weckruf sein, den sie brauchen, um das eigene authentische Leben zu umarmen.