Träumen wir oder handeln wir? „Beeil Dich, Wir Träumen“, ein bemerkenswertes Buch von Heinz Helle, konfrontiert uns mit dieser Frage. Es wurde 2019 veröffentlicht und zieht seine Leser in die radikale Denkweise von fünf Freunden, die sich in den Schweizer Alpen wiederfinden. Sie stehen vor der Überraschung einer dystopischen Wirklichkeit, während sie sich mit ihren Träumen und ihrer Realität auseinandersetzen müssen. Der Roman verbindet die graue Alltäglichkeit mit philosophischen Ponderationen, um aufzuzeigen, wie dünn der Schleier zwischen Normalität und Chaos sein kann.
Helle, der als akribischer Beobachter des Inneren gilt, vermischt seine umfassend durchdachte Ideologie mit einer künstlerischen Erzählweise, die die Leser beansprucht. Als liberaler Schriftsteller hat er keinen Scheu, gesellschaftspolitische Fragen aufzuwerfen. Er tut es leise, fast wie in einem Nebensatz, der den Leser dennoch zum Nachdenken zwingt. Mit einfachen Worten schafft er es, die Komplexität des menschlichen Zustands zu skizzieren und die Leser nicht nur passiv lesen, sondern aktiv nachdenken zu lassen.
Die Konfrontation mit Chaos und Verlust steht im Zentrum des Romans. In einem Moment findet sich die Gruppe von Freunden in einem scheinbaren Idyll wider - die Alpen, der Schnee, die Ruhe. Doch diese Ruhe wird schnell zur Bedrohung, als die Zeichen der Zivilisation um sie herum verschwinden. Während die Freunde mit ihrer neuen Realität kämpfen, wird jede einzelne Charakterentwicklung zu einer Reise ins Innerste.
Ein grundlegendes Thema des Buches ist der Kampf zwischen dem Bedürfnis nach einem rationalen Verständnis der Welt und dem Drang, einfach nur zu existieren. Helle hinterfragt subtil das allgemeine Vertrauen in Stabilität und Ordnung. Vielleicht lebt gerade in der Unsicherheit die wahre Freiheit? Die Offenheit des Endes lässt Raum für Spekulation – eine Einladung an die Leser, ihre eigene Interpretation zu finden und die Unsicherheiten des Lebens zu umarmen.
Viele Leser sehen im Buch eine Metapher für die aktuellen gesellschaftlichen Umbrüche. Die unvorhersehbaren Katastrophen, der Druck, sich stets zu beeilen und gleichzeitig zu träumen, erinnert an die Herausforderungen, denen sich die heutige Generation stellt. Von Klimawandel bis hin zu technologischen Umwälzungen – Helle spricht leise, aber bestimmt eine Generation an, die gelernt hat, mit Unbeständigkeit zu leben.
Nicht jeder muss das Buch als soziopolitisches Manifest lesen. Manche verorten es in der Literatur der existenziellen Krise, ähnlich wie Werke von Camus oder Sartre, die die absurde Natur der menschlichen Kondition betonen. Doch im Gegensatz zu diesen schwergewichtigen literarischen Vorgängern ist Helles Prosa angenehm zugänglich und elegant zugleich.
Die Verfremdung, die die Protagonisten im Angesicht des Zerfalls ihrer Welt erleben, wirft ein Licht auf das, was wirklich zählt - die menschlichen Beziehungen. Inmitten des Chaos bleiben Gespräche, Erinnerungen und Träume die verbindende Kraft. Vielleicht ist das die eigentliche Botschaft: Ganz gleich, wie sehr sich die Welt auch verändern mag, die Essenz dessen, was uns menschlich macht, bleibt bestehen.
Das Buch ist auch als ein Aufruf zum Handeln lesbar. Anstatt sich vom Träumen abzulenken, fordert es seine Leser auf, die Träume voranzutreiben, angetrieben von der Dringlichkeit, die der Titel suggeriert. Es gibt Hinweise darauf, dass Handeln und Träumen kein Widerspruch sein müssen, sondern zwei Seiten derselben Medaille.
Doch nicht alle werden Helles pessimistische Perspektive teilen. Für viele Menschen ist in Zeiten des Wandels der Glaube an das Gute und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ebenso echt und kraftvoll. Der Dialog zwischen diesen Perspektiven – Pessimismus versus Optimismus – macht „Beeil Dich, Wir Träumen“ besonders wertvoll. Indem es verschiedene Standpunkte zulässt, fordert es seine Leser heraus, ihren eigenen Standpunkt zu finden.
Am Ende bleiben viele Fragen offen, und genau dieser Aspekt macht das Buch zu einer spannenden Lektüre und einem Spiegel unserer Zeit. Die Leser sind eingeladen, einfach eine eigene Antwort zu finden, vielleicht sogar neue Träume zu entwickeln oder sich der Tatsache bewusst zu werden, dass man manchmal einfach nur das Beste hoffen kann, während man sich beeilt.